Nationalökonomie für Mathematiker, Naturwissenschaftler, Ingenieure, Techniker
siehe auch: ‘Einführung zur MINT-Volkswirtschaftslehre‘
A. DIE GELDWIRTSCHAFT UND DIE KLASSISCHE ÖKONOMISCHE LEHRE
A1. Geld und dessen Funktionen
Wir beginnen mit dem Geld, das erste, das in einer Gesellschaft entsteht, in der die Selbstversorgung zu schwinden beginnt.
Die Geldwirtschaft ist älter als die uns geläufige nationalökonomischen Lehre. Sie entwickelte sich stetig weiter und auch heute ist deren Entwicklung nicht abgeschlossen, wenn man den Geldbegriff nicht allzu eng fasst, davon später.
Ursprünglich stieg mit zunehmender Arbeitsteilung das Bedürfnis nach einem Tauschmittel. Zwar sind andere Mechanismen zur Verteilung der produzierten Waren und zur Ressourcenallokation denkbar, aber kaum etwas ist auch genügend praktikabel.
Geld hat primär drei Funktionen:
- Tauschmittel (oder Zahlungsmittel)
- Bemessung des Wertes von Dingen und Leistungen, insbesondere menschlicher Arbeit
- Mittel zur Vermögenshortung
Die Funktionen leuchten unmittelbar ein. Jede der Funktionen könnte man auch mit etwas anderem erfüllen, teilweise etwas umständlich zwar, aber immerhin. Doch das ist eine oberflächliche Betrachtung: Jedes ‘‘Substitut‘‘ basiert essentiell auf Geld, denn:
Jedes allgemein verwendbare Tauschmittel übernimmt sofort auch die 2. Funktion und schnell auch die 3., übernimmt somit den Charakter von Geld, so wie das historisch mit den Edelmetallen geschehen ist, sprachlich noch heute erkennbar (Gold > Geld, golden > Gulden, argent = Silber und Geld). Der einzige wesentliche Unterschied liegt im Eigenwert: Modernes Geld hat (fast) keinen Eigenwert, der Wert ist die Kaufkraft als Zahlungsmittel, man kann diesen Wert als ‘‘Versprechen‘‘ der Zentralbank, des Staates, der Gesellschaft ansehen oder ganz pragmatisch als allgemeine Lebenserfahrung.
Andere Tauschmittel mögen einen Eigenwert haben, doch die Verwendung als Zahlungsmittel lässt diesen in den Hintergrund treten, und er liegt dann ständig unter dem Wert als Zahlungsmittel. (Sollte der Eigenwert durch die Umstände den Wert als Zahlungsmittel übersteigen, so wird es als Tauschmittel schnell aus dem Verkehr gezogen und wird zum Wertgegenstand, so zB die Goldmünzen.) Im Verlauf der ganzen Neuzeit hat dieser Eigenwert abgenommen, vom echten Wert der Goldmünzen über die ausgedünnten Münzen (angegebener Inhalt > wirklicher Inhalt) zum kunstvoll und aufwendig bedrucktem Papier und weiter bis zum Buchgeld, eine Zahl auf Papier oder ein paar Bytes eines Computers.
Im Nachhinein muss man feststellen, dass der Eigenwert nur insofern eine Rolle gespielt hat, als es den Herausgeber behindert hat, neues Geld zu schaffen. Und es ist nicht einmal klar, inwiefern nicht der Wert der Edelmetalle schon im Mittelalter durch den Wert als Zahlungsmittel bestimmt war, weil die Edelmetalle fast das Einzige universelle und praktisch verfügbare Zahlungsmittel waren, wodurch sie einen Eigenwert durch diese Funktion bekamen, dh die Unterscheidung Eigenwert versus Wert als Zahlungsmittel verschwimmt.
Zur Bemessung des Wertes kann natürlich irgend etwas genommen werden, dessen Wert bekannt ist, etwa die Anzahl Kilo Brot, Kinoeintritte, Anzahl Arbeitsstunden zum Durchschnittslohn usw. Aber das ist nur eine Skalenverschiebung, eine lineare Abbildung mit fixem Nullpunkt. Wichtiger noch, sie bedingt einen einigermassen öffentlichen Markt mit einem allgemeinen Zahlungsmittel, das uns erlaubt, den Wert beliebiger käuflicher Dinge miteinander zu vergleichen, vom Schleckstängel bis zur grössten Industrieanlage, und das ist dann eben Geld. Anders gesagt: Andere Massstäbe als Geld sind blosse ‘‘Währungsumrechnungen‘‘.
Für die Funktion der Hortung ist Geld auch in allgemeiner Praxis bei weitem nicht allein, nämlich dann nicht, wenn es um ein eigentliches Vermögen geht. Wer etwas hat, möchte, dass sein Wert erhalten bleibt. Diese Werterhaltung ist bei Geld (wenn nicht grad eine Hyperinflation im Gange ist) über kurze Zeiträume – bis ein paar Wochen – hervorragend, um dann über alle Zwischenstufen bei vielleicht etwa 200 Jahren bei miserabel zu landen. Daraus folgt, je länger ein Vermögen unverändert bestehen soll, je weniger wird es in Geld gehalten (die Grösse des Vermögens spielt auch eine Rolle). Trotzdem ist ein Vermögen nur dann ein Vermögen, wenn es mehr oder weniger jederzeit in etwas anderes umgetauscht werden kann, und dazu braucht es einen Markt und ein allgemeines Zahlungsmittel, somit Geld. Andernfalls ist es eine Ressource, deren Wert nicht bekannt und nicht leicht eruierbar ist, zB eine schöne Landschaft: Die kann man zwar via Tourismus auch zum Geldverdienen verwenden, aber man kann sie nicht eigentlich verkaufen, sie stellt somit kein Vermögen dar. Unter ‘reich‘ versteht man jemanden, der sich viele käufliche Dinge leisten kann, und das kann man mit einer nicht-handelbaren Ressource nicht.
Für kürzere Zeit hat Geld allerdings ein De-facto-Monopol, weil alle andern Dinge zu viel Aufwand beim Kauf, Verkauf oder Tausch verursachen.
Daraus schliessen wir:
- Geld kann definiert werden als allgemein akzeptiertes Zahlungsmittel.
- Geld hat zusätzlich die Funktionen als Wertbemessung und als Vermögenshortung im Kurzzeitbereich, teilweise im mittelfristigen Bereich; auch die Vermögenshortung im Langfristigen setzt die Existenz von Geld voraus (‘Vermögen‘ im engeren Sinn).
A2. Vorgeleistete Arbeit und natürliche Ressourcen
Geld bemisst alles was handelbar ist. (Die Ökonomie beschäftigt sich möglichst wenig mit nicht handelbaren Dingen.) Geld ist Tauschmittel, also sind handelbare Dinge käuflich, die beiden Begriffe fallen so zusammen.
Allerdings gibt es zwei ihrem Wesen nach verschiedene Typen von käuflichen Dingen: Einerseits gibt es laufende Arbeit und laufender Verbrauch von Gütern und Dienstleitungen. Andererseits gibt es Ressourcen, die in der Regel auf vorgeleisteter Arbeit beruhen, ein Teil ist von der Natur gegeben, zB Bodenschätze, oder zumindest von der Natur mitbedingt, wie zum Beispiel Grund und Boden im Allgemeinen. (Nur ‘mitbedingt‘, weil der Wert von Grund und Boden auch von den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen im Land abhängt, von der Erschliessung usw.)
Natürlich haben die Ressourcen einen Gebrauchswert, hingegen sind die ‘‘Herstellungskosten‘‘ nicht immer so klar, oder schon so weit zurückliegend, dass sie irrelevant sind, was eine normale Preisbildung (siehe Abschnitt A6) nicht zulässt. Zudem gilt in der Moderne (angehäuftes) Geld als eine ‘allgemeine Ressource‘ oder ‘allgemeine vorgeleistete Arbeit‘ und deren Wert ist nicht auf eine selbstverständliche Art gegeben.
Es ist ein Wesensmerkmal der Neuzeit, dass hier eine Vergleichsmöglichkeit geschaffen wurde, und das ist der Zins, Darlehenszins oder Schuldzins. Er tritt auf, sobald Geld selbst zur Handelsware wird, und das wiederum drängt sich auf, wenn Produktionsstätten und Infrastrukturbauten eine gewisse Grösse erreichen.
Der Zins ermöglicht eine einzige Vergleichsskala für alles Handelbare zu haben, was eine entscheidende Rolle spielt bei der Zuteilung der bereits vorhandenen Ressourcen zur Benutzung. Eine politisch-administrative Zuteilung der Ressourcen ist zwar auch denkbar, hat jedoch gravierende Nachteile: Politik birgt das Risiko des Konflikts, Administrationen neigen, je grösser sie sind, zu Ineffizienz und Korruption. Heute wird deshalb nur mehr um sehr grosse Ressourcen, zB Bodenschätze (hauptsächlich) politisch entschieden. Und im Kleinen, Alltäglichen ist auch mit aller politischen Macht keine Alternative mehr praktikabel.
Die Idee, mittels des Zinses den Gebrauch von Ressourcen in laufende Kosten umzurechnen, dominiert unsere Welt dermassen, dass sie im letzten Jahrhundert stets auf dem Weltmarkt auch von der kommunistischen Welt respektiert wurde, nicht nur aus Machtgründen, sondern auch, weil die Alternativen immer irgendwie auf Geschenke hinausgelaufen wären. Der Islam, der den Zins auf religiösen Gründen verbietet, umgeht dieses Verbot einfach. Weiter ist zu bemerken, dass die Funktionsfähigkeit dieser Umrechnung durch unterschiedliche Zinsniveaus kaum beeinträchtigt wird.
Wie merken uns:
- Der Preis von vorgeleisteter Arbeit im Vergleich zu laufender Arbeit geschieht durch Darlehenszins. Er ermöglicht einen Vergleich des Wertes a l l e r handelbaren Dinge.
- Der Zins bestimmt über weite Gebiete die Zuteilung der von Natur her oder aus vorgeleisteter Arbeit herrührenden Ressourcen auf die an deren Verwendung Interessierten. Alternativen zu diesem Verteilsystem sind schwierig bis völlig unpraktikabel, solange es nicht um sehr grosse Ressourcen geht (bei denen sich ein grösserer Aufwand rechtfertigen lässt).
A3. Die Labilität der Zinswirtschaft
Einen gewichtigen Nachteil hat die Zinswirtschaft allerdings: Sie macht die ganze Wirtschaft labil. Jedes Unternehmen, jeder Haushalt, jede wirtschaftlich handelnde Körperschaft, ja auch ganze Branchen, haben finanzielle Gleichgewichte, die fundamental instabil, dh labil sind. Zwar ist die Labilität nahe um den Gleichgewichtspunkt nur schwach ausgeprägt, im Bild der Kugel auf einer Oberfläche: Die Kugel sitzt zuoberst auf einer nur leicht gewölbten Oberfläche, aber doch eines konvexen Körpers, nie in einer konkaven Schale.
Mit diesem Problem kämpft die Welt bis heute, und bei drohendem wirtschaftlichem Absturz hat noch niemand etwas anderes dagegen unternehmen können, als mit politischen Mitteln die Wirtschaft wenigstens einigermassen wieder ins Lot zu bringen, schlimmstenfalls mit einer Revolution.
Man kann bei der Labilität 3 Stufen erkennen, die gegeneinander nicht scharf abgegrenzt sind, hier folgt ein möglichst allgemeines Beispiel:
- Mein Haushalt, mein Betrieb, meine Gemeinde erwirtschaftet in einem Jahr weniger als ausgegeben wird. Das fehlende Geld wird geborgt. Im nächsten Jahr muss ich nicht nur mein Wirtschaften so verbessern, dass wieder mindestens so viel eingenommen wie ausgegeben wird, ich muss zusätzlich noch den Zins dazuverdienen, und zwar umso mehr, je mehr Schulden zu machen ich gezwungen war.
- Gelingt es mir nicht, die Schulden wieder zurück zu zahlen, sondern mache ich immer mehr Schulden, so werde ich mit der Zeit ein mittelmässiger statt guter Schuldner, und, geht das so weiter, irgendwann ein schlechter Schuldner, dh ich muss höhere Zinssätze bezahlen, weil die Gläubiger sozusagen Risikoprämien verlangen. Das belastet mich zusätzlich, die Schuldzinsen wachsen überproportional zu den Schulden.
- Gelingt keine Sanierung, so geht mein Haushalt, mein Betrieb, meine Gemeinde in Konkurs (oder in ein Sanierungsprogramm, bei dem die Gläubiger Schulden erlassen müssen). Das macht bei den Gläubigern einen Aktivposten mehr oder weniger plötzlich zu einem Nonvaleur, und das belastet deren finanzielles Gleichgewicht. Geschieht das bei vielen Akteuren gleichzeitig, so kann diese Kettenreaktion sehr weit um sich greifen und mit der Zeit die gesamte Wirtschaft eines Landes bedrohen, wenn nicht noch mehr. Dem wird keine Regierung der Welt tatenlos zusehen, unabhängig davon, welche Ideologie sie vertritt oder auf welche Grundsätze der ‘‘Nichteinmischung‘‘ sie geschworen hat oder wie ‘‘sympathisch‘‘ ihr gewisse Akteure sind.
Eine Folge dieser Labilität ist das auf den ersten Blick merkwürdige Verhalten der professionellen Geldverleiher, der Banken: ‘Die Banken geben den Leuten Geld, die Geld haben, nicht denjenigen, die keines haben‘ (dh keine Sicherheiten in Form von Vermögenswerten haben), oder: ‘Die Banken sind wie jemand, der Regenschirme verteilt, wenn die Sonne scheint, und wenn es zu regnen beginnt, zieht er sie wieder ein.‘ Die Sprüche mögen überspitzt sein, falsch sind sie nicht. Aus Sicht der Banken ist ihr Verhalten rational: Sie wollen sichere Schuldner, die auch, wenn etwas schief geht, noch Vermögen haben um die Schulden zurück zu zahlen, und schlechter Wirtschaftsgang heisst auch für die Banken mehr Vorsicht beim Geldausleihen, rechtzeitig Kredite kündigen, bevor gar nichts mehr da ist usw.
Eine weitere Folge ist die bekannte Tatsache, dass die Reichen immer reicher und die Armen ärmer werden. Das gilt für Einzelne, für Gesellschaftsschichten, für Länder, ja für Weltgegenden. Die Politik versucht zum Teil erfolgreich, stärker im nationalen, schwächer im internationalen Rahmen, wenigstens was die Armen betrifft, dagegen zu steuern.
Ein Punkt bleibt noch zu erwähnen: Die Wertkonstanz von Sachwerten. Um die oben beschriebene Instabilität nicht noch zu vergrössern, sollten Sachwerte eine gewisse Wertkonstanz aufweisen. Das ist vor allem bei grösseren Dingen, zB Liegenschaften und grösseren Firmen nicht per se gegeben, vielleicht ist im Moment zufällig niemand an meinem Haus, das ich verkaufen will, interessiert. Gemäss Theorie bewirken die professionellen Händler, weniger freundlich gesagt: die Spekulanten, dass der Wert meines Hauses trotzdem nicht allzu stark sinkt: Ein professioneller Händler würde mein Haus kaufen, sagen wir 10% ‘‘unter Preis‘‘, und warten bis jemand genau so ein Haus sucht. Von den 10% würde er seine Umtriebe bezahlen und sein Risiko abdecken, für die Händel, die aus irgendeinem Grund schief gegangen sind.
Dieser Mechanismus funktioniert in Praxis zwar hervorragend, leider aber mit dem Nachteil noch grösserer Instabilität generiert durch die Eigendynamik des Handels. Gut sichtbar ist dieses Phänomen bei grossen Firmen, die nicht als Ganzes gehandelt werden, sondern nur in kleinen Teilen, lies: Aktien: Aktien werden dann gekauft, wenn der Anleger meint, die Aktie würde im Wert steigen und nicht, weil er denkt, die Firma sei unterbewertet. Die guten und schlechten Nachrichten über Firma x werden mehr danach gewichtet, wie sich diese schätzungsweise auf den Aktienkurs auswirken würden, als wie stark der Wert der Firma wirklich beeinflusst wird. Dadurch entstehen Preise, die weit über dem eigentlichen, an der Nützlichkeit in der Gesellschaft orientierten Wert liegen; man spricht von Spekulationsblasen. (Die sogenannten Grundwerte spielen schon eine Rolle, sie erklären die Schwankungen aber nur zu einem kleinen Teil.)
Die Spekulation erzeugt so immer wieder grössere Preis-Instabilität als sie verhindert, wobei die professionellen Händler häufig nicht den Hauptharst ausmachen: Spekulationsblasen sind nämlich immer dann besonders verheerend, wenn viele ‘‘Amateure‘‘ sich daran beteiligen, wenn das Spekulieren zu einer Art Volksport wird (bis die folgende Krise die Nicht-Professionellen wieder vertreibt).
Also:
- Der Darlehenszins macht alle finanziellen Gleichgewichte zu fundamental labilen Gleichgewichten, dessen Labilität sich nach unten stufenweise vergrössert.
- Die nach nationalökonomischer Theorie eine gewisse Wertkonstanz der Sachwerte herbeiführende Spekulation, erfüllt diese Aufgabe nur zum Preis, dass sie in gewissen Märkten zeitweise grössere Wertbewegungen verursacht als sie verhindert. Das macht das labile Wirtschaftsgeschehen noch labiler.
- Nur mit politischen Mitteln kann die wirtschaftliche Instabilität einigermassen in Schach gehalten und relative Stabilität wieder hergestellt werden.
A4. Die unsichtbare Hand
In einer modernen Gesellschaft ist die Arbeitsteilung offensichtlich von zentraler Bedeutung. Dafür brauchen wir die Austauschmöglicheit von Gütern und Dienstleistungen (mit Geld als Tauschmittel) mit Anbietern von Waren, Werkarbeiten, Dienstleistungen in Läden, Zeitungsannoncen, Internet usw., so etwas nennen die Ökonomen einen Markt.
Nun pflegen die Behörden Vorschriften verschiedenster Art für die Märkte aufzustellen, Zulassungen, Qualitätsprüfungen, Ladenöffnungszeiten, Preisanschreibepflicht, Abspracheverbot usw., die ein möglichst gutes Funktionieren der Märkte bewirken sollten, was immer mit ‘gut‘ gemeint ist. Dabei gilt es zu bedenken, dass die Akteure, Anbieter und Konsumenten, Individuen und Firmen, in aller Regel auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind, insbesondere wollen sie eine einmal erreichte, vorteilhafte Stellung nicht verlieren (was andere in einer weniger vorteilhaften Position stören könnte). Das Mittelalter und die frühere Neuzeit sind für ihre die Produktion stark reglementierenden Zunftverordnungen bekannt.
Die Grundidee der neuzeitlichen ökonomischen Theorie ist nun die, dass am besten gar nichts vorgeschrieben wird: Freie Produktion, freier Handel, freie Konsumation. Wenn jeder Konsument möglichst günstig wegkommen will, wird er den günstigsten Anbieter bevorzugen, das zwingt die Anbieter möglichst günstig anzubieten, mithin zu produzieren. (‘Günstig‘ im umfassenden Sinn, also nicht nur ‘billig‘, sondern ‘kleiner Preis im Verhältnis auch zu Qualität, Lieferzeit, ev. Service usw.‘). In diesem Bestreben wird jeder das machen, was er am besten kann, und jeder wird versuchen, etwas anzubieten, das andere nicht haben, somit werden die verschiedensten Bedürfnisse der Kundschaft abgedeckt, ohne dass eine Obrigkeit explizit dafür sorgen muss, und das erst noch zu günstigsten Preisen. Die Arbeitsteilung wird gefördert und das fördert die Wirtschaftsleistung (siehe nächster Abschnitt). Sollte einmal eine bestimmte Ware knapp oder ‘‘teuer‘‘ werden, so finden sich schnell Neueinsteiger ein, die den ‘‘lukrativen‘‘ Markt ebenfalls beackern wollen.
Nun weiss jede und jeder, dass in Praxis das so absolut nicht durchführbar ist, es gibt noch andere Interessen im Land, zB Betrugserschwerung, Umweltschutz, Sicherheit, Immissionsschutz, in einem Sozialstaat auch Grundversorgung für alle, Verbot gewisser Drogen usw., und dafür gibt es Gesetze und Verordnungen, und obwohl diese in politischen Prozessen entstehen und deshalb gern für ökonomische Zwecke missbraucht werden, wird der oben beschriebene Grundmechanismus nicht ausser Kraft gesetzt.
Allerdings hat er gewisse Voraussetzungen:
- Alle Akteure handeln rational und unabhängig voneinander.
- Es gibt eine grosse Zahl von Anbietern von Gleichem oder Ähnlichem und eine grosse Zahl entsprechender Konsumenten.
- Es herrscht völlige Marktübersicht, dh alle Anbieter und Preise und alle Konsumentenwünsche sind allgemein bekannt.
- Der Einstieg neuer Anbieter muss relativ einfach und billig sein.
Die erste Voraussetzung ist häufig nur teilweise erfüllt, sonst hätten Marketingstrategen und Reklamebüros weit weniger zu tun. Schlimmer ist, dass sich Voraussetzung 2 und 3 in Praxis (nicht in Theorie) gegenseitig ausschliessen: ‘Viele Anbieter‘ heisst, dass diese sich nicht gegenseitig absprechen können, weil nicht alle mitmachen wollen oder nicht alle unter Druck gesetzt werden können, zB in einem Verband mitzumachen, und wenn es gelingen sollte, neue dazu stossen würden, die künstlich hochgehaltene Preise unterbieten würden. Voraussetzung 4 ist je nach Markt gut bis überhaupt nicht erfüllt.
Trotz dieser mediokren Erfüllung der Voraussetzungen sind zahlreiche Beispiele bekannt, wo die Konkurrenz, die alle auf Eigennutz bedachten Akteure dazu bringt, einen schlussendlich gut funktionierenden, nicht überteuerten und nicht ruinösen Markt zu schaffen, wie durch eine ‘‘unsichtbare Hand‘‘, wie das Adam Smith (1723 – 1790) genannt hat, heute spricht man vom Spiel von Angebot und Nachfrage.
Seit dem 18. Jahrhundert haben sich die Schwierigkeiten, die Voraussetzungen für einen funktionierenden Markt zu erfüllen, nicht verringert, nur verschoben: Die Vereinbarkeit von vielen Anbietern und Marktübersicht haben sich dank Internet stark verbessert, andererseits ist die Einstiegschwelle für Neue weitherum viel höher geworden; für die meisten Konsumgüter braucht es teure Maschinen, um sie herzustellen.
Über längere Zeiträume, etwa mehrere Dekaden, ist es schwer, überhöhte Preise aufrecht zu halten, es sei denn, die Politik hilft mit. Am besten geht das, wenn der Markteintritt mit grossen Investitionen verbunden ist: Für einen Neueinsteiger ist das Risiko gross, die etablierten Anbieter können gezielt im Moment des Markteintritts die Preise senken (so genanntes Dumping), ihn so ruinieren, um dann die Preise wieder zu erhöhen. Allerdings bereiten Technologiewandel der Sache häufig ein Ende, da Etablierte diese regelmässig verschlafen.
Gegenbeispiele, wo sich überhöhte Preise etablieren, wo der freie Markt nicht oder höchst mangelhaft funktioniert sind allerdings auch nicht selten. Über kürzere Zeiträume sind (meist verbotene) Absprachen gegen die Handels- und Gewerbefreiheit vielfach erfolgreich. Auch Konsumentenboykotte haben schon zu Erfolgen geführt.
Umgekehrt hat bei vielen funktionierenden Märkten sogar die Politik Mühe, gegen ein starkes Konsumentenbedürfnis anzukommen. So ist es eine allgemeine Erfahrung, dass bei einer politischen Preisfestsetzung unter dem Marktpreis sich fast zwingend ein Schwarzmarkt mit höheren Preisen etabliert. Ein zu hoher politischer Preis durch Zölle oder Gebühren führt ebenso zwingend zu Schmuggel und Abgabebetrügereien; bei einer hohen Preisvorschrift werden Anbieter versuchen, mit Rabatten, Sonderbedingungen, Koppelgeschäften und dergleichen diese zu umgehen. Und die Geschichte der Drogenbekämpfung lehrt: Die Illegalität erhöht in Praxis einfach den Preis.
Häufig ausser Acht gelassen bei der ganzen Diskussion um die freie Wirtschaft werden die Kosten des Marktes: Die Abwicklung des Handels selbst, die Bekanntmachung des Angebotes (Reklame), die Suche nach dem günstigsten Anbieter, das alles ist nicht gratis. Das führt zu Beispielen, bei denen ein staatlicher Monopolbetrieb günstiger arbeitet als sich konkurrierende Firmen.
Es ist auch möglich, dass die Abdeckung der Vielfalt der Bedürfnisse durch wenige, grosse Anbieter schlechter ist, als durch einen Monopolbetrieb, wie das folgende schematisierte Beispiel zeigt: Man nehme einen Fernsehabend, an dem 15% der Zuschauer eine Sendung über ein politisches Ereignis sehen will, 10% will einen Film sehen, und 60% will eine Samstagabendkiste mit Volksmusik. Drei Konkurrenzsender mit je einem Kanal werden alle Volksmusik senden, sich die 60% teilen (wobei jeder hofft, etwas mehr als 20% Anteile zu ergattern), ein einziger Sender mit 3 Kanälen wird Politik, Film und Volksmusik bringen, und so 85% abholen.
Die Essenz des eben Gesagten:
- Konkurrenz unter mehreren Anbietern verbunden mit Handels- und Gewerbefreiheit führt unter gewissen (unrealistischen) Bedingungen zu einer optimalen Verteilung der Ressourcen, zu einer maximalen Bedürfnisabdeckung und zu günstigsten Preisen. Selbst unter realen Bedingungen ist in vielen Fällen dieser Mechanismus äusserst wirksam, in anderen weniger bis gar nicht.
A5. Freihandel und Arbeitsteilung
Es liegt auf der Hand, dass die Grösse eines Marktes die Arbeitsteilung fördert und damit, unter der Voraussetzung, dass nicht alle alles gleich gut können, die Leistung gesteigert wird, weil jeder das macht, was er am besten kann. Wenn Akteur 1 besser Produkt A herstellen kann als Akteur 2, der seinerseits Produkt B besser herstellen kann, so ist es ein Leichtes zu zeigen, dass, wenn Akteur 1 Produkt A und Akteur 2 Produkt B jeweils für beide herstellen, der Gesamtaufwand am geringsten ist.
Allerdings schliessen wir bei dieser Betrachtung die Handelskosten, bei grösseren geografischen Räumen insbesondere die Transportkosten, aus. Weil bei den Produktionskosten nicht nur erlernbare menschliche Fähigkeiten eine Rolle spielen, sondern auch Ressourcen der Natur, dürfen Handelskosten mitunter beträchtlich sein, ohne dass die Rechnung ins Negative kippt, dh es lohnt sich immer noch. So wäre es sicher technisch möglich mit entsprechenden Gewächshäusern und Sonnen-Ersatz-Lampen nördlich der Alpen Zitrusfrüchte zu züchten, aber ökonomisch nicht sinnvoll, trotz notwendigen Kühltransportern, Lagern, Transport- und Lagerverlusten usw.
Weniger evident aber trotzdem wahr ist die Tatsache, dass Handel sich auch dann lohnen kann, wenn Akteur 1 beide Produkte mit weniger Aufwand herstellen kann als Akteur 2, zB so (RE = Ressourceneinheiten):
Aufwand für: Produkt A Produkt B
produziert von:
Akteur 1 4 RE 5 RE
Akteur 2 7 RE 6 RE
Produziert jeder seins, so ist der Totalaufwand 4 + 5 + 7 + 6 = 22 RE.
Produzieren sie wie oben Akteur 1 Produkt A und Akteur 2 Produkt B jeweils für beide, so ist der Totalaufwand: 2 x 4 + 2 x 6 = 20 RE.
Die im vorangegangenen Kapitel dargestellte Wirkung der unsichtbaren Hand führt also zur politischen Forderung nach möglichst viel Handels- und Gewerbefreiheit inklusive freie Berufsausübung über möglichst weite Gebiete, ‘Gebiete‘ im allgemeinsten Sinn: geografische, soziale, Branchen, Berufe, was auch immer.
Wir haben gezeigt:
- Weil nicht alle alles gleich gut können (teilweise auf Grund natürlicher Ressourcen), lohnt sich Arbeitsteilung mit folgendem Handel, und zwar umso mehr, je grösser die Märkte sind; die Gesamtkosten der Produktion verkleinern sich so. Dazu muss nicht einmal jeder irgendwo bester sein, es reichen relative Unterschiede im notwendigen Ressourceneinsatz.
A6. Preisbildung nach Randwert-Theorie
Lange rätselten die Ökonomen darüber, wie die Preise (auf einem freien Markt) zustande kämen. Sicher haben diese etwas mit den Kosten (zur Herstellung oder für die Dienstleistung) zu tun, schliesslich will kaum jemand etwas für weniger verkaufen, als er selbst dafür aufbringen muss. Doch nach oben scheint es keine Grenze zu geben. Wichtige Dinge müsste man teuer verkaufen können. Aber die absolut lebensnotwendige Luft ist gratis (zumindest für das Individuum) und das ebenso wichtige Wasser ausgesprochen billig, währendem zB Edelsteine, die man praktisch nur für Schmuck verwendet, teuer sind.
Die rettende Idee nennt man den Randwert. Er bedeutet den Wert für den Konsumenten der letzten konsumierten Einheit. Zur Erklärung nehmen wir Wasser als Beispiel: Sicher, um nicht zu verdursten würde jeder, soviel er kann, bezahlen; um die Zähne zu putzen und zum Waschen auch noch einiges, aber klar weniger; und für den üblichen, sorglos verschwenderischen Umgang mit Wasser nur noch wenig. Wenn das Wasser teurer würde, würden wir auf Letzteres sofort verzichten. Der Randwert des Wassers ist in den gemässigten, regenreichen Zonen deshalb gering. Luft ist ebenfalls übermässig vorhanden (wenn auch nicht immer in der gewünschten Reinheit), diese mit dem menschlichen Konsum zu sparen erscheint sinnlos. (Anders wird es erst, wenn Nebeneffekte wie die Erderwärmung das Kollektiv zu Massnahmen zwingen, aber das ist ein anderes Thema.)
Nun haben die Ökonomen folgende Überlegung gemacht:
- Bei den Konsumenten sinkt der Randwert mit der Menge, wie mit Wasser illustriert, auch bei eher seltenen Dingen: Einmal im Jahr ein bestimmtes, exquisites, teures Essen ist mir vielleicht wichtig, einmal im Monat durchaus willkommen, jeden Tag wäre langweilig.
- Bei den Produzenten von landwirtschaftlichen und handwerklichen Gütern und einfachen Dienstleistungen steigen die Produktionskosten mit der Menge: Es muss vielleicht weniger günstiges Land unter den Pflug genommen werden, oder klimatisch ist es für eine bestimmte Pflanze weniger günstig, Handwerker und Dienstleister einer begehrten Spezialität sind ausgelastet, also beginnen andere, in verwandten Berufen Tätige, diese anzubieten, sind aber weniger gut ausgerüstet, oder Neueinsteiger, die zuerst ihre Infrastruktur aufbauen müssen.
- In einem Diagramm mit der Menge auf der Abszissenachse und einer Geldskala auf der Ordinatenachse kann ich eine Kostenkurve und eine Randwertkurve aufzeichnen, und weil erstere steigt und letztere bis auf Null sinkt, so müssen sie sich irgendwo überschneiden (, wenn erstere nicht schon zu hoch beginnt, das ist aber für Ökonomen ein pathologischer Fall, es bedeutet nämlich, dass das Gut für alle schon vom ersten Stück an zu teuer ist, so etwas wird in der Regel gar nicht angeboten oder zumindest nicht verkauft, ist also nicht Teil des wirtschaftlichen Lebens).
Anmerkung:
Die Steilheit der Kurven ist je nach Ware stark unterschiedlich, die Dinge sind in Herstellung und Absatz verschieden preissensibel, die Ökonomen nennen das die Elastizität des Angebots bzw. der Nachfrage eines Handelsobjektes. Die Nachfrage nach Grundnahrungsmittel ist zB ziemlich unelastisch, Luxusesswaren dagegen haben eine elastische Nachfrage.
Seit der Erfindung der Randwert-Theorie hat sich allerdings die Massenproduktion so weit durchgesetzt, dass die Produktionskosten (pro Stück) in aller Regel mit steigenden Mengen fallen, nicht steigen, zum Teil auch bei den Dienstleistungen, man denke nur an Banken und die Informatik. Trotzdem ist die Theorie nicht unnütz, im Kurzfristigen, 1, 2 Monate bis ein halbes Jahr vielleicht (gewisse Dinge auch länger), kann die Produktion nämlich nicht genügend schnell hochgefahren werden. Wenn rasch mehr produziert werden muss, gibt es Überstunden, eventuell Nachtschichten für die Reparaturequippe, Importe von weiter weg usw. und das kostet dann zusätzlich.
Über längere Zeiträume kommen tatsächlich Sprünge vor, wo plötzlich etwas populär wird, und dann innert ein paar Jahren zigfach mehr zu deutlich günstigeren Preisen verkauft wird, wobei sich irgendwann wieder ein Gleichgewicht nach Randwert-Theorie einstellt. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Mobiltelefonie. Im Nachhinein ist jeweils schwierig auszumachen, ob zuerst die Preise sanken und dann die Mengen anstiegen oder umgekehrt. Auf jeden Fall ist die Kostensenkung durch grössere Mengen und eine sich gegenseitig aufschaukelnde Bewegung von billigeren Preisen und grösseren Mengen, mit der Grundidee der Randwert-Theorie durchaus kompatibel (wenn auch ursprünglich nicht ‘‘vorgesehen‘‘).
Die Randwert-Theorie legt eine Idee nahe, die immer aktuell war und ist: Die Preisdiskriminierung. Der Verkäufer verkauft sein Produkt nicht jedem und jeder oder seltener nicht jederzeit zum selben Preis und erzielt so einen höheren Ertrag. Am besten geht das bei persönlichen Dienstleistungen, die nicht weiterverkauft werden können. Diese sind nach Ländern, zwischen Stadt und Land, manchmal sogar nach Quartier gerne unterschiedlich teuer. Aber auch bei Waren wird immer wieder versucht, auch mit Hilfe staatlicher Vorschriften wie Zöllen, Einfuhrbeschränkungen, notwendigen Zertifikaten und dergleichen auf unterschiedlichen ‘‘Märkten‘‘ unterschiedliche Preise durchzusetzen.
Vor allem staatliche oder halbstaatliche Einrichtungen kennen auch die Preisdiskriminierung aus sozialen Gründen, etwa bei Kinderkrippen und Horten oder medizinischen Leistungen, die nur bestimmten Bevölkerungsteilen offen stehen. Das geht in einer freien Wirtschaft aber meist nur mit Subventionen, weil eine ausgeglichene Rechnung bedeuten würde, dass einige mehr bezahlen müssten, als auf dem freien Markt notwendig, mit der Folge, dass sie die diskriminierende Institution meiden würden. Dagegen gibt es nur noch den staatlichen Zwang: Viele stattliche Dienstleistungen werden in globo ‘‘verkauft‘‘, was heissen soll, sie werden mit Steuern finanziert, die zum Teil preisdiskriminierend ausgestaltet sind, sodass wer mehr hat, mehr leisten muss.
Fazit:
- Für die Preisbildung ist nicht der Nutzen oder Wert der gehandelten Ware bzw. Dienstleistung an sich, sondern der Nutzen der letzten gekauften Einheit entscheidend; zwischen diesem und deren Produktionskosten bzw. Aufwandes zur Erbringung der Leistung stellt sich immer wieder ein Gleichgewicht ein.
- Mit Preisdiskriminierung können Verkäufer ihre Erträge steigern.
B. KONJUNKTURSTEUERUNG
Vorbemerkung:
Bis jetzt haben wir die Wörter ‘Konsum‘, ‘konsumieren‘ im allgemeinen Sinn verwendet, für alles, was gekauft wird. Von hier weg wird der ‘Konsum im allgemeinen Sinn‘, auch Verbrauch genannt, unterteilt in ‘Konsum im engeren Sinn‘ und ‘Investitionen‘; darunter verstehen die Nationalökonomen Aufwände in Installationen, die der (zukünftigen) Produktion dienen, dh Bauten und Maschinen.
B1. Produktion und Verbrauch
In Abschnitt A1 ist die Funktionen des Geldes dargestellt, in den Abschnitten A2 und A3 die Zinswirtschaft und ihre Folgen. Die Tatsache, dass wir mit dem Mittel des Geldes unsere Waren und Dienstleistungen kaufen und verkaufen (anstatt sie direkt zu tauschen), hat aber noch eine andere, nicht triviale Folge: Der Akt des Produzierens und Verkaufens (Dienstleistungen hier miteingeschlossen) und der Akt des Verbrauchens sind nicht wie beim Tauschhandel aneinander gekoppelt, sondern bilden zwei Schritte. Es ist jeder und jedem freigestellt, nur das eine zu tun und das andere nicht. Mit andern Worten, ich kann produzieren und das Geld dafür auf die hohe Kante legen statt zu verbrauchen.
Solange solche Entscheide mehr oder weniger nach Zufallsprinzip individuell gefällt werden, würde sich bei den heutigen Volkswirtschaften – die kleinsten zählen immer noch nach Hunderttausenden – nach den Regeln der Statistik bestens ausgleichen, aber so ist es nicht. Heute spricht man von ‘Konsumentenlaune‘ oder ‘Konsumstimmung‘, und von ‘Investitionsklima‘ und die sind abhängig von politischen und wirtschaftlichen Nachrichten: In Zeiten von steigender Arbeitslosigkeit und schlechten Nachrichten in den Medien werden die Leute – wen wundert‘s – vorsichtiger im Ausgeben.
Wenn aber der gesamte Verbrauch kleiner ist als die Produktion, so sind wir in einer Krise: Die Produktion wird herunter gefahren, dadurch steigt die Arbeitslosigkeit und die Vorsicht der Konsumenten, der Konsum im engeren Sinn und die Investitionen gehen weiter zurück. Umgekehrt, wenn der Verbrauch grösser ist als die Produktion, das heisst die Leute kaufen (zum Teil) auf Pump, gibt das einerseits inflationären Druck, und andererseits wird die Produktion gesteigert, das vermehrt das Volkseinkommen, die Inflation regt die Leute zudem an, eher früher als später zu dann höheren Preisen zu kaufen, wir laufen auf eine Überhitzung der Konjunktur zu.
Es drängt sich auf, dem Staat die Aufgabe zu übertragen, hier für einen Ausgleich zu sorgen: Er soll in Zeiten der Krise mehr ausgeben (und damit verbrauchen) als einnehmen (und damit dem Konsum der einzelnen Bürger und Bürgerinnen entziehen), und in der überhitzten Konjunktur mehr einnehmen als ausgeben. So kann er (theoretisch) Produktion und Verbrauch der Volkswirtschaft als Ganzes ausgleichen. Schliesslich hat der Staat Zwangsmittel zur Verfügung, mittels derer er solche Dinge durchsetzen kann.
Bis hierher haben wir festgestellt:
- Durch das Geld als intermediärer Werthalter können Produktion und Verbrauch in der Menge differieren, was sich zu einer sich selbst verstärkenden Spirale in Richtung grösseres Ungleichgewicht führt.
- Der Staat wäre berufen, das auszugleichen oder für Ausgleich zu sorgen.
B2. Geldformen und Geldbedarf
Nun ist es für ein Individuum oder eine Firma gar nicht so einfach, verdientes Geld dem Kreislauf zu entziehen: Wer mehr verdient als ausgibt, trägt das Geld auf die Bank bzw. lässt es dort, und die gibt es in Form eines Darlehens an jemanden, der es ausgibt. Trotzdem kommen Ungleichgewichte vor, doch dazu weiter unten. Im Moment interessiert, dass die Remedur des Mankos dasselbe Problem kennt: Wenn der Staat korrigierend eingreifen will, so muss er sich davor hüten, nur dasjenige Geld in den Kreislauf zu investieren, das er vorher daraus abgezogen hat, respektive umgekehrt.
Zur Konjunktursteuerung gehört also immer eine Geldmengensteuerung, in Praxis ist das nicht einfach. Das beginnt schon bei den verschiedenen Erscheinungsformen von Geld in unserer Welt:
- Bargeld im eigentlichen Sinn, also Münzen und Noten
- Gutscheine und Checks
- Kontoguthaben bei einem Finanzinstitut
- Darlehen aller Art
- Kreditlimiten bei einem Finanzinstitut
- Kredite und Kreditlimiten bei der Zentralbank und Sonderziehungsrechte beim Währungsfonds
Und das ist erst noch eine unvollständige Liste. Das liegt allerdings an der Sache. Der Leser wird gemerkt haben, dass je weiter unten, je weniger handelt es sich um Geld mit den uns geläufigen Eigenschaften, der letzte Punkt ist zudem nur für Staaten und teilweise für Finanzinstitute zugänglich. Die Liste kann auch deshalb nicht vollständig sein, weil sich die Ökonomen nicht einig sind, was alles Geld ist und was nicht, man kann sich höchstens im Zusammenhang mit einem konkreten Problem einigen. Beim Angebot von Geld für Firmen und Individuen wird man vernünftigerweise die Punkte 1 bis 4 als Geld ansehen.
Beim Geldbedarf sieht es anders aus, hier spielen alle 6 Punkte eine Rolle. Die Ökonomen haben versucht, den Geldbedarf abzuschätzen in Abhängigkeit von andern Grössen wie zB Zinssatz und wirtschaftlicher Aktivität. Der Zinssatz ist natürlich gemäss dem Spiel von Angebot und Nachfrage abhängig von der Geldmenge, und die wirtschaftliche Aktivität ist abhängig vom gesamten Volkseinkommen. Mehr als ein paar eher qualitative Vorstellungen sind dabei nicht herausgekommen, wobei man sich teilweise noch über die Abhängigkeiten streitet. Klar ist nur, eine absolute Berechnung ist jenseits unserer Möglichkeiten, es kann etwas Weniges gesagt werden über relative Bewegungen im Geldbedarf. So benötigt erhöhte wirtschaftliche Aktivität mehr Geld für Transaktionen (dh als Tauschmittel), wie viel mehr ist bereits unklar.
So veranlassen hohe Zinsen eventuell die Firmen, weniger flüssige Mittel in Reserve zu halten und auch zurückhaltender mit der Inanspruchnahme von Geldern zu sein und niedere Zinsen das Gegenteil. Dieser Punkt ist aber umstritten, weil Investitionen der Firmen, für die sie Bankkredite brauchen, Obligationen ausgeben (oder das Aktienkapital erhöhen) dann erfolgen, wenn sie davon ausgehen, die Mehrproduktion absetzen zu können, und zwar meist längerfristig als ein bestimmtes Zinsniveau herrscht. Demnach würden nur langfristige Zinserwartungen eine Rolle spielen. Bei privaten Darlehensnehmern ist in der Regel das notwendige Eigenkapital die beschränkende Grösse und nicht der Zinssatz. Immerhin kann man sagen, dass sicher keine umgekehrte Abhängigkeit besteht.
Kurz zusammengefasst:
- Es gibt viele Formen von Geld oder geldähnlichen Substituten; je nach betrachtetem ökonomischem Gegenstand sind verschiedene Substitute von Belang oder eben nicht.
- Den Geldbedarf einer Volkswirtschaft zu berechnen, gelingt nicht. Es bestehen zum Teil gut fundierte, zum Teil umstrittene Theorien, dass bei der Verschiebung von gewissen Parametern, namentlich Menge der wirtschaftlichen Aktivität, Zinsniveau und wirtschaftliche Aussichten, der Geldbedarf steigt bzw. sinkt.
B3. Konjunktur- und Geldmengensteuerung
Geldmengensteuerung heisst zeitweise Geld erschaffen, zeitweise vernichten, und das kann der Staat durch seine Zentralbank. Gemäss Abschnitt B1 soll der Staat also in der Krise Geld ausgeben, das er vorher neu ‘‘drucken‘‘ liess (‘drucken‘ in Gänsefüsschen wegen der vielen, verschiedenen Geldformen, siehe oben), und in der konjunkturellen Überhitzung sollte er Überschüsse erzielen, die er von der Zentralbank vernichten lässt. Das ist oder wäre so gemäss Theorie, in der Praxis kommt es zu Letzterem in dieser Form nämlich nie, siehe unten; das Erstere kommt vor und nennt man ‘Deficit Spending‘.
Dadurch generiert der Staat bei vorher möglicherweise arbeitslosen Arbeitern oder bei verlustmachenden Firmen direkt Einkommen, indem er zB ein Bauprojekt in Auftrag gibt. Zusätzlich wird indirekt Einkommen generiert, indem die neuen Löhne bzw. Gewinne wieder ausgegeben werden, und dadurch andern zu Mehreinnahmen verhelfen, diese Mehreinnahmen werden wiederum zum Teil ausgegeben usw. Diesen Mechanismus, dass durch die Ausgabe einer Extrasumme ein Wirtschaftswachstum angekurbelt wird, dessen Umfang ein Mehrfaches der Extrasumme beträgt, nennt man den Multiplikator-Effekt, und Ökonomen versuchen in den jeweiligen Situationen für eine bestimmte Massnahme den Multiplikator abzuschätzen.
Nun liegt die Frage nahe, ob der Staat wirklich selber Geld ausgeben bzw. Überschüsse erzielen muss, wäre es nicht einfacher, er würde neu geschaffenes Geld den Bürgern, Bürgerinnen und Firmen zur Verfügung stellen, damit diese es ausgeben, dh mehr verbrauchen, und im andern Fall die Geldmenge verringern, damit weniger ausgegeben werden kann? Das ist eine Konjunktursteuerung allein über die Geldmenge und die Ökonomen, die das vertreten, nennt man Monetaristen, die andern, die das für nicht ausreichend halten, Keynesianer (siehe Historie in Abschnitt D4).
Kleine Anmerkung:
Leider verbinden sowohl Monetaristen wie auch Keynesianer noch einige politisch motivierte Ansichten mit ihrer wissenschaftlichen Richtung, weshalb die Bezeichnungen (und manchmal Schimpfworte) mehr bedeuten, als hier aufgeführt.
Wie bereits gesagt, man ist sich soweit einig, bei Konjunkturschwankungen, die typischerweise ein halbes bis 4 Jahre dauern, im Fall des Abschwungs Geld in den Markt, dh in das Bankensystem zu pumpen, im Fall der Überhitzung, Geld aus dem Markt abzuziehen. Über den richtigen Zeitpunkt streitet man sich gewöhnlich, weil die Wirkung immer mit einer gewissen Verzögerung eintritt (wie viel Verzögerung weiss man nicht genau), und die Voraussagen der Konjunkturforschungsinstitute nicht zuverlässig sind. Falls die durch die Geldmengenänderungen erfolgten Zinsänderungen, die Investitionen beeinflussen, gibt das einen zusätzlichen Effekt mit tendenziell grosser Verzögerung.
Vor dem Jahr 2008 war man sich sicher, dass längerfristig, ungefähr ab 10 Jahren, eine Vergrösserung der Geldmenge, die nicht einer entsprechend grösseren Wirtschaftskraft entspricht, nur die Inflation anheizt. (Es gibt das historische Beispiel des Goldes aus Südamerika im 16. Jahrhundert, das in Spanien in erster Linie eine Inflation ausgelöst hat.)
Seit 2008 scheint das nicht mehr zu stimmen. Das viele Geld der Notenbanken scheint zu versickern, bzw. gerade dafür gut zu sein, eine schwerere Krise zu verhindern. Offenbar fliesst ein Teil des Geldes in die im Preis massiv gestiegenen Immobilien. Wegen den gleichzeitig rekordtiefen Zinsen haben trotzdem die die Inflation beeinflussenden Wohnungskosten nicht entsprechend angezogen. Auf jeden Fall gerät nur ein Teil des Notenbank-Geldes in den Konsum.
Die Ökonomen sind sich nach der Erfahrung der 1930-er Jahre auch einig, dass eine Deflation nicht zugelassen werden darf. Deflationen tendieren in der Krise aufzutreten, und verstärken den Abwärtstrend, weil mit Zuwarten von Kaufentscheiden der Verbraucher zu mehr Kaufkraft gelangt. Dadurch verringert sich der Konsum und die Krise verstärkt sich. Japan hat anfangs der 1990-er Jahre trotzdem wieder versucht, eine Deflation nicht energisch zu bekämpfen. Das Resultat war nicht überzeugend, wenn auch nicht vergleichbar mit den 1930-er Jahren.
Nachbemerkung:
Damit (wenigstens) die Geldpolitik gelingen kann, und weder an langen, politischen Entscheidungswegen noch an um ihre Wiederwahl bangenden Politikern scheitert, hat man diese Aufgabe überall an die Zentralbank delegiert, deren Leiter immer indirekt, häufig sogar doppelt indirekt, gewählt werden, die also keine Wahlkampftournéen durchs Land machen müssen. Diese entscheiden schnell, gerne überraschend am Wochenende, wenn die Banken geschlossen sind, sie haben kein Parlament, das vorgängig Beschlüsse fassen muss, ja, sie werden kaum wirklich kontrolliert (nur öffentlich kritisiert, in aller Regel ohne jeden Effekt).
Klar ausgedrückt:
- Zur Konjunktursteuerung gehört immer die Geldmengensteuerung: In der Krise wird Geld in den Umlauf gepumpt, bei konjunktureller Überhitzung wird Geld abgezogen. Diejenigen, die die Geldmengensteuerung als einzige Möglichkeit zur Konjunktursteuerung sehen, nennt man Monetaristen, die, die das als nicht ausreichend ansehen, Keynesianer.
- Bei den Keynesianern gehört das Deficit Spending zur Krisenbekämpfung. Der Staat gibt direkt (neu geschaffenes) Geld aus, das dank des Multiplikator-Effekts ein Mehrfaches an zusätzlichem Volkseinkommen generiert.
- Längerfristig (über Konjunkturschwankungen hinweg) bedeutet eine grössere Geldmenge ohne entsprechende Vergrösserung der Wirtschaftskraft, nur Geldentwertung, es sei denn, das Geld gelangt nicht in den Konsum. Eine Inflation kann auch kurzfristig eine unerwünschte oder erwünschte Nebenfolge der Geldmengensteuerung sein; erwünscht, weil Deflationen wegen ihren verheerenden wirtschaftlichen Auswirkungen unbedingt verhindert werden müssen.
- Um die Geldmengensteuerung dem politischen Prozedere und Gezerre weitgehend zu entziehen, wurden für diese Aufgaben Zentralbanken geschaffen, deren Leitung möglichst indirekt gewählt wird. Diese können, wenn nötig, sehr schnell entscheiden (innert ein paar Stunden).
B4. Nicht-monetäre Konjunktursteuerung, monetaristische Kritik
Um in einer Krise oder Rezession der Wirtschaft direkter als über die allgemeine Geldmenge helfen zu können, ist es nützlich zu wissen, dass die Krise weder gleichmässig noch gleichzeitig für alle Branchen und Firmen auftritt, aber auch bei Weitem nicht so ‘‘verstreut‘‘, dass sich das innerhalb einer Volkswirtschaft ausgleichen würde. Es gilt die Faustregel: Je alltäglicher die Handelsware umso schwächer und später kommt die Abwärtsbewegung. Das ist verständlich: Wenn die wirtschaftlichen Aussichten sich zu trüben beginnen, dann kaufen die Leute Essen und Haushaltmittel ganz normal weiter, höchstens etwas weniger die teuren Produkte darunter. Der alte Fernseher oder das Auto hingegen müssen dann noch etwas länger genügen. Zudem hinkt die steigende Arbeitslosigkeit der Rezession hintennach, schliesslich hindern Gesetze allzu schnelle Entlassungen, und die Sozialwerke wirken bei den Alltagsgütern dem Abwärtstrend entgegen.
Besonders hart werden die Industrien für Investitionsgüter getroffen. Zwar auch häufig mit einiger Verspätung, weil da die Bestellfristen lang sind, aber dann mit Wucht, weil bei sinkenden Umsätzen niemand Kapazitätserhöhungen plant (es sei denn, man denke schon an die nächste Hochkonjunktur und an die lange Zeit zwischen Bestellung und Produktionsaufnahme, aber das können nur Firmen mit genügend Reserven). In diesem Bereich kann der Staat relativ gut helfen, indem er seine Infrastruktur ausbaut, wobei das meistens etwas einseitig die Bauindustrie fördert. Das Problem ist allerdings, dass die Entscheidungswege des Staates oft so viel Zeit in Anspruch nehmen, dass sie zur Konjunkturregelung nicht taugen; es kommt aber immerhin vor, dass mit dem Vorziehen von bereits Beschlossenem etwas ausgerichtet werden kann.
Wem aufgefallen ist, dass plötzlich nur noch von Gegenmassnahmen von Rezessionen die Rede ist, sieht richtig: Die Möglichkeit eine konjunkturelle Überhitzung durch staatliche Zurückhaltung zu dämpfen, wird nämlich nicht genutzt; sie kann in einem einigermassen demokratischen Gemeinwesen nicht genutzt werden, die so handelnden Politiker würden abgewählt. Es gibt immer genügend Bedarf an gewünschten Ausbauten mit staatlichem Geld, ‘‘wir wollen doch nicht ausgerechnet in X sparen, jetzt, wo genügend Geld vorhanden wäre‘‘ heisst es dann.
Politische Gründe verhindern auch, dass es ein Analogon zu den Zentralbanken für die nicht-monetären Massnahmen gibt. Genau hier setzt auch die Kritik der Monetaristen an, indem sie die Meinung vertreten, die nicht-monetären staatlichen Massnahme würde kaum etwas bringen, weil zu spät und, was die Branchen betrifft, zu einseitig. Zudem bezweifeln sie, dass tiefe Zinsen die so wichtigen Investitionen ankurbeln können, in vielen Fällen haben sie völlig Recht, aber nicht in allen. So wirken die Sozialwerke zweifellos konjunkturschwankungsdämpfend. Arbeitslosenunterstützung und auch Sozialhilfe wirken schnell mit kaum mehr als einem Monat Verzögerung, die Krankenkassen-Systeme Europas schützen fast die ganze Medizinalbranche vor Krisen, und auch kriegerische Auseinandersetzungen beleben die Wirtschaft massiv, wenn auch in aller Regel unfreiwillig, in solchen Fällen bleibt dem Staat kaum etwas anderes übrig, als Deficit Spending: Um die plötzlich kräftig steigenden Ausgaben bezahlen zu können, muss ‘‘Geld gedruckt‘‘ werden.
Monetaristen empfehlen bekanntlich hauptsächlich Steuersenkungen in der Rezession, einmal abgesehen davon, dass auch da meistens eine erhebliche Verzögerung bis zur Wirkung vorliegt, ist das auch sonst nicht das Gelbe vom Ei: Wegen der häufig progressiven Ausgestaltung der Steuern, begünstigt deren Reduktion viel stärker die wirtschaftlich besser Gestellten, und es ist bekannt, dass von deren freiem Einkommen ein viel kleinerer Teil in den sofortigen Verbrauch geht wie bei den Ärmeren. (Die Steuererhöhung bei konjunktureller Überhitzung wird kaum je gefordert … .)
Aus diesem argumentativen Hin- und Her, können wir festhalten:
- Nicht-monetäre Konjunktursteuerung ist in der Praxis bedeutend schwieriger als in der Theorie, unter anderem wegen ungleich von der Krise betroffenen Branchen. Sie findet nur in der Krise oder Rezession statt und unterliegt den politischen Prozessen, was ein zeitgerechtes Handeln in den meisten Fällen unmöglich macht.
- Sozialwerke, die naturgemäss fast verzögerungsfrei auf Konjunktur-Schwankungen reagieren, wirken schwankungsdämpfend.
- Die übrigen nicht-monetären Massnahmen sind in ihrer Wirkung meist zweifelhaft. Die Alternativen der Monetaristen sind ebenso zweifelhaft.
B5. Die Entstehung von Ungleichgewichten und Versickerung der Massnahmen
Immer noch offen ist die Frage, wie ein Ungleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch überhaupt zustande kommt. Konjunkturelle Überhitzung geht häufig einher mit sogenannten Spekulationsblasen: Aktien oder Liegenschaften steigen über Monate und Jahre mehr oder weniger stetig im Preis, deren Besitzer haben dadurch mehr Geld, das zum Teil in den Verbrauch fliesst, dem aber kein Produktionszuwachs entspricht. (Solche Spekulationsblasen werden weit weniger entschlossen bekämpft als die Rezessionen, das hat politische und keine ökonomische Gründe.)
Ein Einbruch in die Aktienwerte kann analog eine Rezession auslösen, aber es scheint auch die Ursache zu geben, dass mehr Vorsicht im Anlegen von Geldern aufkommt, demzufolge wird bei Banken mehr Bargeld gehalten, und so kann ebenfalls eine Abwärtsspirale beginnen. Ganz geklärt ist diese Frage nicht. Man weiss nur, dass das Geld für Transaktionen immer da ist, sollte einmal zu wenig vorhanden sein, so wird es sofort substituiert durch Wechsel und Gutschriften anderer Art. Es ist unmöglich, durch eine restriktive Geldpolitik die Handelstätigkeit zu dämpfen.
Ebenfalls eine Rolle spielen kann der Abfluss von Mitteln in eine andere Volkswirtschaft (lies: ins Ausland), dann fehlt es im Inland. Das erklärt aber nie das Auftreten von so gut wie weltweiten Rezessionen. Auf jeden Fall ist die Frage nach Entstehung der Konjunkturschwankungen nicht restlos geklärt.
Wenn Ungleichgewichte entstehen können, so können auch monetäre Steuerungen auf die gleiche Art versickern oder einen andern unerwünschten Effekt haben. So ist jedem vernünftigen Menschen klar, dass Geldzuschuss durch neues Geld nicht wie im einfachsten (auch hier beschriebenen) Modell zuerst nur das Verbrauchsdefizit behebt, dh zuerst die Arbeitslosigkeit vollständig beseitigt, um dann nur noch inflationär zu wirken, sondern dass immer – wenn auch in unterschiedlichem Mass – beide Effekte vorhanden sind, nur schon deshalb, weil nicht alle Branchen gleich stark unter Nachfrageschwächen leiden.
So kam die Idee auf, zu einem bestimmten Prozentsatz an Arbeitslosigkeit gehöre eine bestimmte Inflationsrate, also eine funktionale Abhängigkeit der Inflationsrate von der Arbeitslosigkeit (funktional im mathematischen Sinn). Die Ökonomen versuchen diese Funktion mit statistischen Mitteln zu berechnen und nennen das Resultat – nach ihrem Erfinder – die Philippskurve. Gemäss Lehrmeinung ist deren Aussehen für eine bestimmte Volkswirtschaft in einem bestimmten Zeitraum typisch, will sagen, einigermassen konstant.
Dass die Inflation mit dem Beschäftigungsgrad stetig steigt, dass auch die Ableitung dieser Funktion stetig steigt, dh sie immer steiler wird, scheint durchaus plausibel. Dass diese Kurve aber konstant ist in einer bestimmten Volkswirtschaft, ist nicht erwiesen, ja nicht einmal plausibel.
Bei der Zusammenfassung stehen hier nur Eventualerkenntnisse:
- Wie die Konjunkturschwankungen überhaupt entstehen, ist nicht wirklich geklärt. Geld dem Geldkreislauf zu entziehen ist für den einzelnen kaum möglich. Allerdings könnte ähnliches Verhalten von vielen, den Geldbedarf überraschend schnell erhöhen. Spekulationsgewinne und Verluste verändern ebenfalls die Geldmenge mitunter in schnellem Tempo. Auch die externen Beziehungen einer jeden Volkswirtschaft könnten eine Rolle spielen.
- Die Phillippskurve stellt eine Beziehung her zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation. Ob sie wirklich für eine jede Volkswirtschaft eine typische Ausprägung hat, ist unsicher.
C. ZUSÄTZE 1: Der Staat und die Wirtschaft und die Aussenwelt
C1. Die Rollen des Staates
Der Staat mit seinen ‘‘Untersektionen‘‘ wie Provinzen und Kommunen spielt gleichzeitig mehrere Rollen in der Wirtschaft:
- Gesetzgebung, dh setzt Bedingungen für die wirtschaftliche Tätigkeit
- Verhinderung von grossen ökonomischen Abstürzen
- Konjunktursteuerung
- Zwangseinzug von Geldern (Steuern, Gebühren, Zölle, Strafen)
- Inhaber oder Teilhaber von Firmen, die sich (weitgehend) wie Private verhalten
- Inhaber von Monopolbetrieben, insbesondere die öffentliche Verwaltung
Punkt 5 ist keine besondere Rolle, es wird deshalb nicht weiter darauf eingegangen, wohl aber spielen die zahlreichen Mischformen zwischen 5 und 6 eine spezielle Rolle. Punkt 1 gehört zur Politologie und damit nicht hierher, obwohl die wirtschaftlichen Auswirkungen der Gesetzgebung oft gross und manchmal unerwartet sind, und umgekehrt wirtschaftliche Einflüsse auf die Politik häufig grösser sind, als man gemeinhin annimmt. Der Konjunktursteuerung (Punkt 3) ist Kapitel B gewidmet.
Auf die andern Punkte wird in den folgenden Abschnitten kurz eingegangen. Dazwischen ist ein Abschnitt über Staatsschulden (C3) und zuletzt ein paar Bemerkungen über die Aussenbeziehungen (C6).
Kurz:
- Der Staat spielt in der (und für die) Wirtschaft verschiedene Rollen, politischer, ökonomischer und vor allem polit-ökonomisch gemischter Natur. Neben dem politischen Prozess der Gesetzgebung und der in Kapitel B behandelten Konjunktursteuerung ist das vor allem, die Verhinderung von ökonomischen Abstürzen, die Zwangseinziehung von Geldern und die Tätigkeiten in monopolisierten und in teilmonopolisierten Märkten.
C2. Staatliche Interventionen zugunsten des Gleichgewichts
Wenn der Staat neben dem Festsetzen der Rahmenbedingungen eine Aufgabe in der Wirtschaft hat, dann die, das labile Gleichgewicht von grossen Einheiten zu halten. Wie bereits in Abschnitt A3 erwähnt, ist keine Regierung bekannt, die sich dem auf Dauer entziehen könnte. Nichts tun bedeutet, später ein grösseres Problem zu haben.
Es geht noch weiter: Ist ein Staat nicht mehr in der Lage, das zu tun und liegt das nicht an Kriegswirren solcher Art, dass sich der Rest der Welt lieber heraushält, so versuchen die andern Staaten mit Riesensummen zu helfen. Was passiert, wenn sie das nicht tun, hat man in den 1930er Jahren gesehen.
Parlamentarier und andere Nicht-Exekutiv-Politiker, auch Professoren der Ökonomie wehren sich mitunter heftig gegen die Hilfspakete. Allerdings dürfen die Summen zur Rettung einer in Schieflage geratenen Einheit meistens nicht mit Konsumausgaben, Steuereinnahmen, konkreten Bauvorhaben usw. verglichen werden. Manchmal sind es Investitionen, die bei Gelingen der Intervention wieder zurückfliessen, nicht selten sogar mit Gewinn, oder es sind Garantien, die der Staat auf Grund seiner Grösse und seinem guten Ruf geben kann, aber beim Gelingen nicht einlösen muss. In andern Fällen finanziert der Staat mit neuem Geld, das geht dann zu Lasten aller, hat aber häufig nicht denselben Effekt, wie wenn er das neue Geld in den Konsum fliessen lassen würde.
Nicht zu vergessen ist die Konsequenzen eines vorläufigen Verzichts auf Intervention: Geht zB ein ganzer Staat regulär Bankrott, so müssen im mildesten Fall die Guthaben zum grossen Teil abgeschrieben werden, was im Allgemeinen mehr ist als die Hilfspakete, ein politischer Umsturz wirkt genauso, und bürgerkriegsähnliche Wirren mit militärischer Befriedung als Folge sind noch teurer.
Es wäre besser, es gar nicht soweit kommen zu lassen, also schon kleinere Schieflagen im labilen wirtschaftlichen Gleichgewicht zu bekämpfen, worauf wir zum Teil wieder bei der umstrittenen Konjunktursteuerung wären, denn ein häufiger Auslöser für eine allgemein verbreitete Schuldenkrise ist die mangelnde Wertkonstanz von gewichtigen Gütern, also Liegenschaften und grösseren Produktionsstätten, deren Wert stark von der Konjunktur abhängt.
Wie wir gesehen haben ist die Konjunktursteuerung nicht nur umstritten, sondern auch überaus schwierig. Stattdessen kommt es immer wieder vor, dass Staaten genau diese Preisstabilität noch untergraben, aus andern Motiven, versteht sich. Zum Beispiel kann eine Wohneigentumsförderung, eine Immobilienspekulationswelle zuerst auslösen und später begünstigen, indem er Leuten ermöglicht, da mitzumachen, die ohne staatliche Hilfe zu wenig Mittel hätten, so dass es zu einer Spekulationsblase kommt.
Der Staat könnte Wertkonstanz mit direkten Interventionen am Markt begünstigen, also durch Kauf und Verkauf. Bis jetzt wird das überwiegend nur bei Währungen praktiziert, da können die Zentralbanken schnell handeln, andere Dinge sind in aller Regel zu politisch, somit immer umstritten.
Das Wichtigste in drei Sätzen:
- Wirtschaftliche Einheiten von einer Grösse, die eine Volkswirtschaft bedrohen, müssen vom Staat gerettet werden, da führt früher oder später kein Weg daran vorbei. Das gilt auch für Staaten und für Volkswirtschaften als Ganzes.
- Auslöser sind häufig mangelnde Wertkonstanz gewichtiger Güter; die Wertkonstanz ist manchmal durch staatliches Handeln noch untergraben worden.
C3. Schulden des Staates
Die Aufgabe Konjunktursteuerung mit einem möglichen Deficit Spending impliziert, dass der Staat Schulden macht (oder Guthaben abbaut, das ist aber ausgesprochen selten, der Staat hat nämlich auch sonst die Neigung, Schulden zu machen). Wer solides, privates Wirtschaften gelernt hat, dem wird es bei (grossen) Schulden ungemütlich. Man muss aber bedenken, dass den Schulden einer Privatperson oder einer Firma auf der Ebene von Volkswirtschaften zwei Analoge gegenüberstehen: Einerseits ist es tatsächlich die Staatsverschuldung, anderseits die Ertragsbilanz, Letzteres ist die Summe aller nach aussen verkauften Waren und Dienstleistungen minus die Summe aller von aussen eingekauften Waren und Dienstleistungen.
Staatliche Schulden sind weniger bedenklich als private, die irgendwann zurückgezahlt werden müssen, spätestens von den Erben oder beim Auflösen einer Firma (es sei denn die Privatperson oder die Firma mache Konkurs). Der Staat lebt sozusagen ewig, auch wenn das historisch nicht stimmt, so gehen doch alle davon aus. Schulden des Staates sind in erster Linie eine Umverteilung unter seinen Bewohnern, die einen leihen Geld zu Gunsten aller. Der Staat hat die Möglichkeit von Zwangsmitteln, lies Steuern und Gebühren, die Private nicht haben. So sind Staatsschulden weit weniger bedenklich als private Schulden, obwohl die in Abschnitt A3 beschriebene Labilität auch hier gilt.
Eine negative Ertragsbilanz ist da schon gravierender. Sie bedeutet, dass die Volkswirtschaft als Ganzes auf Pump lebt, und das muss irgendwann zurückbezahlt werden, ausgenommen Revolutionen oder Kriege erzwingen einen grundsätzlichen Neuanfang der internationalen Beziehungen. Auch hier gilt die Labilität von Abschnitt A3. Ganze Volkswirtschaften zu besserem Wirtschaften zu bringen ist zudem nicht leicht. Das ist der Grund, warum Kriegsentschädigungen auf die Dauer gern dem Sieger zum Nachteil gereichen: Nach einem Krieg muss wieder aufgebaut werden. Die Kriegsschuld wird darum, und auch wegen ihrer Grösse, auf viele Jahre verteilt. In dieser Zeit stellen sich die beiden Volkswirtschaften auf die Zahlungen ein: Die Schuldner produzieren mehr als sie verbrauchen (dürfen), und die Gläubiger gewöhnen sich daran, mehr zu verbrauchen als sie produzieren. Irgendwann ist die Schuld abgetragen. Aber Volkswirtschaften sind träge. Also fährt man weiter wie bisher, nur dass der ehemalige Gläubiger nun Schulden macht beim ehemaligen Schuldner, der zum Gläubiger wird. Dieser geht gestärkt aus der Nachkriegszeit hervor, währendem der Sieger ein unpopuläres Zurückfahren des Verbrauchs, meistens des Konsums im engeren Sinn, vollziehen muss.
Wir halten fest:
- Schulden des Staates sind weit weniger gravierend wie Privat- oder Firmenschulden, sie sind im Wesentlichen eine Umverteilung zwischen Individuen und Firmen einerseits und der Allgemeinheit andererseits.
- Es gibt auf Ebene der Staaten ein zweites Analogon zu Privat- und Firmenschulden: Die Ertragsbilanz. Ist diese längere Zeit nicht ausgeglichen, bedeutet es effektiv, die Volkswirtschaft als Ganzes lebt auf Pump oder generiert Überschüsse (zu Gunsten anderer).
C4. Steuern, Gebühren, Zölle, Strafen
Der Staat hat die Möglichkeit, zwangsweise Gelder einzutreiben, ohne dass dem eine direkte Gegenleistung gegenüberstehen muss. Damit sei nicht verleugnet, dass der Staat zumindest in unserem Teil der Welt viel für seine Bewohner leistet, aber er macht nicht nur, was alle gebrauchen können oder wenigstens befürworten. Es ist sogar so, dass jeder und jede – manche mehr, manche weniger – einige ‘‘Taten‘‘ des Staates rundweg ablehnt, und trotzdem muss jeder und jede ganz unabhängig davon bezahlen, was dem Staat umso mehr eine ökonomische Sonderstellung gibt.
Wenn staatliche Abgaben häufig unabhängig von dessen Leistungen sind, heisst das nicht, dass alle gleich viel bezahlen. Der Staat ist fast immer darauf aus, dass im Innern keine unkontrollierten Konflikte ausbrechen, also strebt er meist eine gewisse Spannungsverminderung an. Soziale Spannungen sind bekanntlich gefährlich, also versucht er diese zu dämpfen. Der moderne Staat hat ausserdem moralische Ansprüche und einen grossen Geldbedarf, und das Geld muss man holen, wo es ist: Einerseits bei den Wohlhabenden, aber auch im mittleren und unteren Mittelstand, denn da sind viele.
Das führt dazu, dass die meisten direkten Steuern vom Einkommen bzw. Gewinn der Besteuerten abhängen. Ist diese Abhängigkeit linear und geht durch den Nullpunkt, so spricht man von proportionalen Steuern. Steuern, die überproportional mit dem Einkommen bzw. Gewinn steigen, nennt man progressiv, solche, die unterproportional steigen, regressiv. (Die entsprechenden Tarife nennt man ‘progressiv‘ resp. ‘regressiv‘, letzteres auch ‘degressiv‘.)
Man verwendet diese Ausdrücke auch, wenn die Abgaben nicht von einem Gewinn oder Einkommen abhängig sind, so zum Beispiel bei Gebühren und Abgaben aller Art, sei es für kleine Dienstleistungen, wie Ausstellung eines Reisepasses, sei es für Lizenzen, Bewilligungen, sei es aus andern Anlässen. Diese sind meistens fixe Beträge pro Nase und somit ausgesprochen regressiv. Bei punktuellen Steuern, die meistens primär einer gewissen Steuerung des Konsums dienen, etwa Zölle, Alkohol- und Tabaksteuern, auch Sondersteuern auf Luxusgütern, untersuchen Ökonomen mit statistischen Mitteln, wie stark die wirtschaftlichen Schichten getroffen werden: Auch diese Steuern sind meistens stark regressiv.
Subventionen funktionieren ähnlich, sie begünstigen normalerweise eine bestimmte Branche, ist diese wichtig für Alltagsgüter ergibt das stets einen progressiven Effekt, da Leute mit niederem Einkommen einen weit grösseren Teil für Konsum ausgeben (müssen) wie Leute mit höherem Einkommen. Umgekehrt haben aus demselben Grund allgemeine Konsumsteuern (Mehrwert- und Umsatzsteuern) einen leicht regressiven Charakter). Dem versucht man zum Teil mit tieferen Sätzen für gewisse Dinge, insbesondere Lebensmittel, entgegenzuwirken.
Sozialsysteme sind naturgemäss stark progressiv, indem sie meist nach Einkommen abgestuft sind, häufig so, dass nicht alle davon profitieren können. Das kann im Extremfall so weit gehen, dass für Arbeitnehmer, die nur schlecht bezahlte Jobs bekommen können und Kinder zu versorgen haben, sich arbeiten nicht mehr lohnt. Diese Progressivität verliert sich aber meistens im oberen Mittelstand, nicht selten schon im mittleren.
Auf der andern Seite haben wir gesehen, dass fast nur die Einkommenssteuern progressiv ausgestaltet sind. Diese kennen aber zahlreiche Abzüge, und Abzüge dämpfen die Progression stark, da sie gerade wegen der Progression mehr wirken, wenn viel zu versteuern ist. Zudem wirken alle legalen und illegalen Tricks zur Steuervermeidung in derselben Richtung. Der Staat ist von der ökonomischen Mitte an aufwärts weit weniger sozial, als er sich gibt. Das ist nicht einfach zu ändern, weil Reichtum und Macht immer ein Stück weit zusammengehen, und das wirkt der sozialen Grundidee der direkten Steuern entgegen. Das Phänomen der Verbindung zwischen Macht und Reichtum tritt unabhängig von Gesellschaftsform und politischer Ideologie immer wieder auf (auch nach Revolutionen, die mit den vor der Revolution Mächtigen zuerst einmal tabula rasa gemacht haben).
In 2 Sätzen zusammengefasst:
- Je nach Beziehung – und sei sie nur indirekt – von Zwangsabgaben (Steuern, Gebühren, Abgaben, Zöllen, Strafen) zum Einkommen der Betroffenen spricht man von proportionalen, progressiven oder regressiven Abgaben.
- Der moderne Staat erstrebt durch progressive Steuern einen gewissen sozialen Ausgleich, was ihm bei den untersten Einkommensschichten einigermassen gelingt, in der oberen Hälfte stösst er aber an seine Grenzen, da Macht und Reichtum sich in jeder Gesellschaftsform verbinden.
C5. Monopol- und Teilmonopolbetriebe
Weil der Staat sich als Repräsentant der Gesamtheit seiner Einwohner versteht, betreibt er Monopolbetriebe, ohne dabei auf Gewinnmaximierung aus zu sein, zB dann, wenn staatliche Aufgaben nur mit einem Monopol einigermassen vernünftig erledigt werden können. Sicher dabei ist der Teil der Verwaltung, die den politischen Prozess mitgestaltet, aber auch zB die Justiz und die militärische Verteidigung, wenigstens deren Führung.
Auch bei Infrastrukturen, wie städtischen Leitungssystemen, bei engen Platzverhältnissen Flugplätze, Eisenbahnlinien und Strassen. Man nennt das natürliche Monopole. Wo genau deren Grenze ist, ist eine hoch politische Frage, die Antwort darauf ist nicht selten ideologisch ‘‘gesteuert‘‘, sie hängt aber wesentlich von den jeweiligen Verhältnissen ab. So war lange Zeit die Raumfahrt so teuer und ein Return on Invest so unsicher, dass nur Staaten sie sich leisten konnten, das hat sich bereits geändert. In Venedig ist es wohl undenkbar, die Verkehrswege, dh die Kanäle, privat zu betreiben, in der Sahara könnte man durchaus Strassen von verschiedenen Konkurrenz-Unternehmen bauen lassen, allerdings wird das niemand tun, weil es sich niemals lohnt.
Gerade das letzte Beispiel zeigt, wie schwierig die Grenzziehung ist. Ist der Staat zB für die Verkehrswege zuständig, so wird er versuchen, möglichst alle daran anzuschliessen. Nun klagen gewisse Ökonomen, das sei Ressourcenverschwendung, weil 20 oder 30% der Strassen den Löwenanteil des Verkehrs trügen, man solle bei diesen mehr investieren, aber der Staat (bzw. die Gesellschaft) hat noch andere Interessen als eine in Bezug auf direkten Nutzen optimale Ressourcenverteilung. Zudem wären die Folgen einer allzu starken Vernachlässigung der Peripherie unter Umständen kostspieliger, so dass, über das Ganze gesehen, eine breit gefächerte Erschliessung letztlich billiger sein könnte.
Man sieht, wie schwierig und wie politisch das alles ist. Auf jeden Fall, wenn der Staat einen Monopolbetrieb für sich beansprucht, oder jemandem zur Ausführung übergibt, so verfolgt er immer noch andere Ziele als nur betriebsökonomische. Das führt dann wieder dazu, dass Unterakkordanten finden, der Staat solle durch die Vergabe seiner Aufträge die lokale Wirtschaft fördern (statt den billigsten Anbieter zu berücksichtigen), schliesslich seien das Steuergelder, ähnlich die Angestellten, die auf die Vorbildfunktion des Staates als Arbeitgeber pochen, usw. Um das alles in Grenzen zu halten, unterliegt das Handeln in solchen Betrieben einigen Regeln mehr (im Vergleich zur Privatwirtschaft), hat deshalb eine erhebliche, bürokratische Tendenz. Das kostet Geld und auch Zeit, vor allem wenn Entscheidungen staatlicher oder halbstaatlicher Betriebe vor Gericht eingeklagt werden können. Das alles ist betriebsökonomisch negativ und der Ruf, öffentliche Verwaltungen seine teuer und träg, kommt deshalb nicht ganz unerwartet.
Andererseits sparen sich Monopole und zum Teil auch Teilmonopole viel Beschaffungs- bzw. Verkaufskosten, die Werbung ist stark reduziert oder fehlt gänzlich. Theoretisch können Monopolbetriebe sich erlauben, nur schlechten Service zu bieten, das kommt auch tatsächlich vor. Allerdings zwingen politische Gründe – wenn zB eine Auslagerung an einen Privaten droht, oder Skandalgeschichten über Rückstände zB bei Gerichten in die Medien gelangen – nicht selten dazu, den Service zu verbessern.
Summa summarum ist entgegen aller Ideologien oft nicht klar, was nur schon betriebsökonomisch am besten funktioniert, ein staatliches Monopol, eine Mischform zB mit Lizenzen an Private oder volle private Konkurrenz.
Generell kann man sagen, je mehr eine Branche von einigen wenigen grossen Anbietern beherrscht wird, je mehr staatliche Einmischung ist angesagt, je kleiner, vielfältiger und grösser in Zahl die Anbieter sind, je optimaler richtet es die freie Konkurrenz.
In drei Aussagen zusammengefasst:
- Man nennt ein Monopol ‘natürlich‘, wenn eine Aufgabe ohne Monopol nicht vernünftig zu bewältigen ist.
- Staatliche Betriebe in Monopol- und Teilmonopolbereichen verfolgen stets noch andere als wirtschaftliche Ziele; dazu werden sie nicht zuletzt von den Politikern und deren Lobbys gezwungen.
- Wann staatliche Monopol- und Teilmonopole besser wirtschaften als freie Konkurrenz, ist im Einzelfall sehr schwer auszumachen; generell gilt: je kleiner die anbietenden Betrieb und je grösser deren Anzahl, desto besser ist freie Konkurrenz.
C6. Aussenbeziehungen
In dieser Darstellung des Kerns der nationalökonomischen Lehre wurde der Aspekt, dass keine Volkswirtschaft für sich alleine steht, sondern je länger je mehr intensive Aussenbeziehungen bestehen, fast vollständig ausgeblendet. Interessanterweise verändern die Aussenbeziehungen an der Theorie kaum etwas, sie fügen lediglich Komplikationen hinzu.
In der Praxis erschweren sie die Wirtschaftspolitik allerdings erheblich, namentlich in der Konjunktursteuerung. Sowohl monetäre wie auch nicht-monetäre Massnahmen verpuffen bei kleineren Volkswirtschaften nur allzu leicht nach aussen. Andererseits sind sie Konjunkturschwankungen ihrer wichtigsten Handelspartner oft ziemlich hilflos ausgesetzt.
Dieser Effekt erschwert insbesondere den Entwicklungsländern, eine stabile Wirtschaft aufzubauen (neben vielen internen Problemen, versteht sich).
Ob in einer fernen Zeit die ganze Welt eine einzige Volkswirtschaft bilden wird, steht in den Sternen. Auf jeden Fall ist das nicht bald, man sieht ja die gewaltigen Unterschiede in der ökonomischen Potenz der verschiedenen Länder, absolut und pro Kopf. Die westliche Welt kann sich auch gar nicht vorstellen, auf ein ökonomisches Welt-Durchschnitts-Niveau abzusinken, höchstens einen Aufstieg aller andern. Und das ist schwierig, ganz abgesehen von den dann drohenden Umweltproblemen.
Wir konstatieren:
- Die nationalökonomische Theorie ändert sich durch den Einbezug von Aussenbeziehungen nicht grundsätzlich, ihre Beschreibung würde allerdings einiges aufwendiger, unübersichtlicher und komplizierter. Eine Wirtschaftspolitik in Praxis umzusetzen, wird durch Aussenbeziehungen erheblich erschwert, und zwar je mehr je kleiner eine Volkswirtschaft ist.
D. ZUSÄTZE 2: HISTORISCHES
D1. Historischer Seitenast 1: Die Marx’sche Ausbeutungstheorie
Im 19. Jahrhundert entwickelte Karl Marx (1818 – 1883) unter vielem anderem seine Lehre von der zunehmenden Ausbeutung der Fabrikarbeiter durch die Fabrikanten (Verelendungstheorie). Auf vier Sätze gerafft, geht sein Argument in etwa folgendermassen:
Der Fabrikant besitzt eine Fabrik mit Maschinen, die von angestellten Arbeitern bedient werden. Beides, Fabrik und Arbeiter, kosten etwas, jedoch weniger als er durch den Verkauf der Produkte bekommt, die Differenz nennt Marx den Mehrwert. Er definiert sodann den Ausbeutungsgrad als das Verhältnis dieser Differenz zur Summe von Arbeiterlöhnen-plus-Differenz, oder anders gesagt, den Mehrwert geteilt durch die Löhne, die der Fabrikant bezahlen müsste, um keinen Mehrwert zu erreichen. Weil die Automatisierung zunimmt, kosten die Maschinen immer mehr (im Vergleich zu den Löhnen), ausbeuten kann man aber nur Menschen, deshalb ist der Fabrikant ‘‘gezwungen‘‘, die Ausbeutung immer mehr zu steigern, will er nicht selber (wirtschaftlich) schlechter fahren.
Diese Argumentation hat zwei vernichtende Schwächen, um nicht zu sagen Fehler:
- Das Argument hängt an der Semantik des Wortes ‘ausbeuten‘, stellt man hier die Worte richtig, ergibt sich der gegenteilige Schluss.
- Das Argument ist nur qualitativ und hält einer quantitativen Überprüfung in einem einfachen Modell nicht stand, weder mit richtigem noch mit falschem Schluss.
Zu Punkt 1: Das Wort ‘ausbeuten‘ hat einen moralischen und einen ökonomischen Inhalt. Hier interessiert der ökonomische Inhalt. Dass das Wort nur auf Menschen angewendet wird, kommt indes von der moralischen Komponente her. Schalten wir diese aus, etwa indem wir ‘ausbeuten‘ durch den Begriff ‘Profit ziehen‘ ersetzen, so ist die Anwendbarkeit auch auf Maschinen gegeben. Dabei stellen wir fest, dass wir aus Maschinen stets maximalen Profit ziehen, da diese keine Ansprüche stellen. Das heisst nichts anderes, als dass der Fabrikant mit zunehmender Automatisierung nach der qualitativen Überlegung von Kar Marx immer besser fahren müsste.
Zu Punkt 2: Wir können ein Beispiel von einem einzelnen Fabrikanten oder von der Gesamtproduktion her rechnen, wir kommen immer zum selben Schluss: Die Verteilung zwischen Maschinen- und Arbeitskosten spielt für das Wohlergehen des Fabrikanten keine Rolle und die zunehmende Automatisierung verschlechtert seine Situation auch nicht. Nimmt man an, dass die Preise entsprechend der Produktivitätssteigerung fallen, so fährt er relativ zu den Arbeitern immer gleich gut. Der von Marx definierte Ausbeutungsgrad steigt zwar, aber nur, weil der Teiler kleiner wird, dh weil die Arbeitskosten einen kleineren Teil der Produktionskosten ausmachen.
Beispiel: Ein Fabrikant produziert Waren zum Verkaufswert W = 110 Einheiten zu Kapitalkosten (inkl. Maschinen) C = 50 Einheiten und Lohnkosten L = 50 Einheiten,
sein Mehrwert M ist also 10, denn W – C – L = 10.
Mit L = 60 wäre kein Mehrwert mehr übrig, Ausbeutungsgrad ist also 10/60 = 0,1666… .
Wir nehmen an, dass der Profit von 10 Einheiten etwa das ist, was einerseits ein genügendes Polster für das unternehmerische Risiko bringt, andererseits nicht so gross, dass billiger verkaufende Konkurrenten auftreten.
Nun nehmen wir an, dass gewisse Zeit später die Produktivität durch einen wesentlich grösseren Einsatz von Maschinen (im Verhältnis zu den Lohnkosten) gestiegen ist. zB. C` = 80, L` = 20
So etwas macht der Fabrikant natürlich nur, wenn damit auch mehr hergestellt werden kann, also zB 120 Einheiten, also (vorerst, provisorisch) W`prov = 120.
Allerdings bleibt die Welt kaum so stehen, die Gewinnspanne von jetzt 20% wird Konkurrenten anlocken, was Preisdruck erzeugt und obwohl in Wirklichkeit noch etliche Faktoren in die Preisbildung hineinspielen, müssen wir in diesem Einfachstmodell annehmen, dass der Preis soweit sinkt, dass genau wieder die Gewinnspanne von 10% resultiert, entsprechend unserer Annahme, dass das die ‘‘marktgängige‘‘ Gewinnspanne ist. Das heisst (definitiv): W`def = 110 .
Der Fabrikant fährt weder besser noch schlechter als früher, er profitiert nur – wie alle – von den allgemein sinkenden Preisen.
Zwar steigt der Ausbeutungsgrad auf: 10/30 = 0,333…, aber nur, weil der Teil der Lohnkosten an den gesamten Produktionskosten gesunken ist, die Arbeitnehmer fahren deswegen nicht schlechter, sie profitieren ebenfalls von den sinkenden Preisen.
(Karl Marx hat übrigens durchaus gesehen, dass höhere Produktion eine positive Entwicklung ist. Es ist ein Rätsel, wieso er nicht gemerkt hat, dass dann nicht alle, Fabrikanten und Arbeiter, schlechter fahren können, es sei denn, man nehme eine Art schwarzes Loch an… .)
Es ist keine Kunst, diese Rechnung mit (allgemeinen) Variablen zu wiederholen, das Resultat ist dasselbe, was bezüglich des Fabrikanten auch kein Wunder ist, schliesslich nehmen wir an, dass die Preise genau so weit sinken, dass seine Gewinnspanne erhalten bleibt. Andernfalls würde er entweder noch besser fahren, oder die Gewinnspanne war schon im Ausgangspunkt überhöht und hätte bei einer Konkurrenzsituation keinen Bestand gehabt. Die Verteilung zwischen Fabrikkosten (inkl. Maschinen) und Arbeitskosten spielt keine Rolle.
Die Verelendungstheorie ist also blanker Unsinn. Immerhin schimmert bei den Beispielen durch, dass viele Leute überflüssig werden könnten, die Arbeitslosigkeit könnte stark zunehmen. Aus der Geschichte wissen wir inzwischen, dass die Gefahr real besteht, über grössere Zeiträume jedoch einerseits durch Arbeitszeitkürzungen und andererseits durch neue Bedürfnisse an Waren und Dienstleistungen aufgefangen wird.
Wir nehmen zur Kenntnis:
- Die ökonomische Lehre von Karl Marx (Verelendungstheorie) basiert auf einer qualitativen Überlegung, aus der der falsche Schluss gezogen wurde, die aber weder mit richtigem noch mit falschem Schluss einer quantitativen Überprüfung standhält.
D2. Historischer Seitenast 2: Die Freiwirtschaftslehre von Silvio Gesell
Silvio Gesell (1862 -1930) entwickelte anfangs des 20. Jh. seine Freiwirtschaftslehre mit den Komponenten Freiland und Freigeld. Er will das Land gegen Entschädigung verstaatlichen und dann die Pacht versteigern, und das gleich auf der ganzen Welt mit Zugang von allen überall zu den Versteigerungen. Bei Bauten denkt er an eine Art Baurecht zwischen 50 und 100 Jahren, mit Baurechtszins-Neufestlegungen alle 5 bis 10 Jahre und Rückkauf der darauf erstellten Gebäude.
Das Landwirtschaftsland soll der Staat unter Bedingungen, die das Verwahrlosen-Lassen verhindern sollen, als lebenslange Pacht versteigern, wobei nach dem Tod eines Pächters der Familie noch ein 10%-iger Vorteil bei einer Wiederversteigerung zugestanden würde. Im Bergbau sieht er entweder eine Pacht wie bei der Landwirtschaft, oder eine Pacht ohne Installationen (die dann der Pächter erstellen müsste) vor. In beiden Fällen plant er eine Abnahme aller Bergbauprodukte durch den Staat zu einem festen Preis, der sie seinerseits entweder zu einem festen Preis oder in einer Versteigerung verkauft. Andere Industrieanlagen erwähnt er nicht speziell.
Das Geld will er zwangsweise einer gut 5%-igen Abwertung pro Jahr, genauer 1o/oo pro Woche, unterwerfen, auf eine Art, die die Leute ständig daran erinnert. Allerdings pflegt er einen engen Geldbegriff, nämlich nur Noten und Münzen, wobei er kleinere Münzen noch von der Abwertung ausnehmen würde. So erhofft er sich eine durchaus monetäre Geldsteuerung, die nach seiner Meinung die Konjunktur perfekt steuern würde.
Er glaubt festgestellt zu haben, dass Waren (Grundbesitz ausgenommen) im Gegensatz zu Geld mit der Zeit immer an Wert verlieren würden, dass deshalb der Käufer gegenüber dem Verkäufer immer im Vorteil sei, weil er den Handel verzögern und so mehr herausholen könne. Auch ist er überzeugt, dass es zwischen Geldverleihern keine Konkurrenz gäbe, auch keine geben könne.
Er sieht das Übel in der Geldhortung, damit meint er unrealistischerweise ausschliesslich Hortung in Münzen und Banknoten (zu seiner Zeit wohl noch verbreitet, aber sicher nicht die ausschliessliche Hortungsform), und er erkennt die Hortung in durchaus keynesianischer Manier als Ursache von Krisen. Er sieht, dass Geld als Tauschmittel keinen Eigenwert braucht, meint aber (fälschlicherweise), dass Geld zur Hortung einen Eigenwert brauche. Geld als Tauschmittel ermöglicht die Arbeitsteilung, nach Gesell erwünscht, Geld als Hortungsmittel verunmögliche aber die Geldmengensteuerung.
Seine Analyse ist zum Teil richtig, zum Teil zweifelhaft, zum Teil falsch. Der Geldbegriff ist schon für damalige Verhältnisse viel zu eng. Dass Waren mit der Zeit an Wert verlieren stimmt zwar für die meisten, aber nicht für alle Waren (Kunstwerke, Schmuck), und um die Wertkonstanz von Geld ist es auch nicht immer zum besten bestellt. Ob der Käufer gegenüber dem Verkäufer im Vorteil ist, hängt vom betreffenden Markt ab, es gibt Käufer- und es gibt Verkäufermärkte, je nach dem, ob Mangel oder Überfluss an einem bestimmte Gut herrscht. Dass unter Geldverleihern keine Konkurrenz herrschen könne, wie Gesell glaubt, ist nicht nachvollziehbar.
Seine Vorstellungen, was die Freiwirtschaft alles bewirken würde, sind geradezu fantastisch und erinnern an esoterische Heilsversprechen im Bereich der Medizin. Abgesehen von seiner erzwungenen gut 5%-igen Inflation erwartet er Wertkonstanz, Vollbeschäftigung, keine Konjunkturschwankungen, niedere Zinssätze, mit der Zeit sogar bis auf 0% hinunter, und 50% weniger Handelskosten. Weiter meint er, die Privatinteressen in der Politik würden verschwinden (wegen der damaligen grossen Diskussionen in Deutschland um die Grundrente der grossen Grundbesitzer) und explizit, Kriege würden verschwinden, weil bei ihm keine Zölle mehr vorgesehen sind.
Heute wäre sein wörtlich genommenes Freigeld ein Schlag ins Wasser, die der Abwertung unterworfenen Noten würden durch Plastikgeld ersetzt. Das ist bösartig, zugegeben, man müsste seine Idee schon der veränderten Welt anpassen, und auch alle Kontokorrent-Konten miteinbeziehen, die Grenzziehung würde allerdings schwierig werden. Mit seinem Freiland würde er immerhin die Spekulation mit Grund und Boden verhindern oder stark dämpfen, indem nur noch Baurechte gehandelt werden könnten, und damit eine Schwankungsursache ausschalten. Mit der Aktienspekulation beschäftigt er sich nicht.
Viele seiner Erwartungen sind aber spekulativer Natur und scheinen häufig zu stark beeinflusst von den Zeitumständen und den damaligen politischen Diskussionen. Einige sind geradezu naiv. Was bei einer Realisierung seiner Vorschläge wirklich passieren würde, darüber kann man tatsächlich nur spekulieren. Sein Freigeld würde vermutlich gar nicht viel verändern, das Freiland den Liegenschaftenhandel stärker berühren, aber vielleicht wär‘s das dann bereits.
Uns bleibt folgende Feststellung übrig:
- Die auf staatlichem Land, das verpachtet und im Baurecht abgegeben wird, und auf einer erzwungenen, ca. 5%-igen Abwertung des Bargeldes basierende Freiwirtschaftslehre hätte schwer voraussehbare Wirkungen, aber kaum alle die, die Silvio Gesell erwartet und ans Fantastische grenzen. Die Verstaatlichung allen Landes könnte je nach Ausgestaltung der Baurechtsverträge die Bodenspekulation unterbinden oder eindämmen.
D3. Historischer Seitenast 3: Innovationen und die Business Cycles von Joseph Schumpeter
Joseph A. Schumpeter (1883 – 1950) empfand die Suche nach Gleichgewichten der Ökonomen als einseitig und ungenügend, um die wirtschaftliche Entwicklung zu erklären. Bei einem perfekten Gleichgewicht wäre der Profit Null, bei gutem Gleichgewicht immer noch klein, während sich die wirtschaftliche Entwicklung des Westens in der Neuzeit und besonders seit dem 19. Jahrhundert durch eine ausgesprochene Dynamik und gewaltige Entwicklung auszeichnet. Da wurden grosse Summen in neue Industrien investiert, die erst einmal verdient werden mussten.
Er untersucht die Bedeutung und den Ablauf von Innovationen, die Wichtigkeit des Kreditwesens usw. Später versucht er daraus eine Theorie der Konjunkturzyklen mit der Abfolge Prosperität (auf Grund einer oder mehrerer Innovationen) – Rezession – Depression – Erholung zu entwickeln. Er postuliert drei sich überlagernde ‘‘Konjunkturwellen‘‘ mit unterschiedlichen Frequenzen: 40 bis 50 Jahre, 9 bis 10 Jahre und 40 Monate. Er glaubte diese Zyklen anhand von statistischen Daten von 1790 bis etwa 1938 nachweisen zu können. Die keynesiansche Angebots- und Nachfragetheorie, die in der 2. Hälfte der 1930-er Jahre unter den Ökonomen populär wurde, lehnte er ab.
Weder seine Zeitgenossen noch die heutigen Ökonomen akzeptieren diese Theorie. Wenn es auch offensichtlich Konjunkturwellen gibt und gab, somit immer irgendwann auf eine Prosperität eine Rezession oder gar Depression folgt und umgekehrt, so ist die postulierte Gesetzmässigkeit gerade in der Zeit vor 1938 nicht zu sehen; das bemerkte auch Schumpeter, und versuchte das umständlich zu erklären. Auch auf Regen folgt irgendwann wieder die Sonne, und niemand versucht das Auf-und-ab des Wetters in regelmässige Zyklen zu pressen, die über die Jahreszeiten hinausgehen.
In einem Satz zusammengerafft:
- Ausgehend von der richtigen Feststellung, dass die gewaltige wirtschaftliche Entwicklung der Neuzeit nur durch von Innovationen hervorgerufene grosse Ungleichgewichte möglich war, entwickelte Schumpeter eine nicht überzeugende Lehre von 3 sich überlagernden Konjunkturzyklen-Wellen mit verschiedenen Frequenzen.
D4. Abriss der Entwicklung der nationalökonomischen Lehre
Im Mittelalter war die Menge der landwirtschaftlichen Produktion entscheidend für den Reichtum einer Provinz oder eines Reiches, mit der Zeit ersetzt durch die Steuerkraft. Schon im 16. Jahrhundert und vor allem im 17. beherrschte der Merkantilismus Europa, er erachtet, modern ausgedrückt, eine möglichst positive Ertragsbilanz als das Ziel jeder Wirtschaftspolitik, also versuchte man den Export zu fördern und die Importe zu behindern.
Im 18. Jahrhundert begannen (andere) ökonomische Ideen zu spriessen, dass nicht alle eine positive Ertragsbilanz haben können, ist ja offensichtlich. Kommt dazu, dass behindern einfacher ist als fördern, und manch einer ahnte, dass gegenseitiger Handel sich positiv auf die Prosperität auswirken müsste. Einen Grossteil dieser Ideen zusammengefasst, erweitert und in ein System einer liberalen Wirtschaftsordnung eingefügt zu haben, ist das Verdienst von Adam Smith (1723 – 1790). Er gilt als eigentlicher Begründer der nationalökonomischen Lehre.
Smith propagierte Freihandel, freie Berufsausübung, freie Produktewahl, freie Konkurrenz usw., eine Forderung, die die Ökonomen bis heute vertreten. Der Staat solle sich möglichst fern halten von der Wirtschaft, es sei denn, eben die wirtschaftliche Freiheit in all ihren Facetten zu schützen. Das ist der Kern der klassischen Nationalökonomie.
Die nächste Generation, als wichtigster Vertreter gilt Thomas Robert Malthus (1766 – 1834), war von einem ausgesprochenen Pessimismus geprägt. Sie erkannten, dass die Bevölkerung exponentiell wächst, und dass Bevölkerungswachstum ein grosses Armutsrisiko beinhaltet. Gleichzeitig behaupteten sie, die Produktion wachse nur linear, was nicht nachvollziehbar ist.
Etwa zur gleichen Zeit wie unter anderen Karl Marx (siehe Abschnitt D1) und die sogenannten sozialen Utopisten und etwas später Silvio Gesell (siehe Abschnitt D2) unorthodoxe Ideen einbrachten, die bei den Ökonomen (anders als bei den Politikern) nie wirklich auf fruchtbaren Boden fielen, und von diesen bis heute als Irrwege angesehen werden, entwickelten die Ökonomen gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Randwerttheorie. Damit konnte man endlich das Wertparadoxon ‘Edelsteine – Luft‘ lösen. Bekanntester Vertreter dieser Generation ist Alfred Marshall (1842 – 1924). Man nennt sie die Neoklassiker.
Rund 10 Jahre nach dem 1. Weltkrieg begann die Weltwirtschaftskrise, die sich in der gesamten westlichen Welt ausbreitete, mit hoher Arbeitslosigkeit und Deflation. Die Ökonomen erklärten zumindest die lange Fortsetzung der Krise mit dem Wirken der damals erstarkenden Gewerkschaften, die mit politischen Mitteln das Absinken der Löhne zwar nicht verhinderten, aber bremsten. Das Spiel von Angebot und Nachfrage hätte gemäss der neoklassischen Lehre die Löhne soweit senken müssen, bis wieder Vollbeschäftigung herrschen würde. Die politische Linke verhinderte also gemäss Lehrmeinung die wirtschaftliche Erholung.
Aus der ungemütlichen Lage, gegen die wissenschaftliche Erkenntnis zu politisieren, wurde die Linke durch John Maynard Keynes (1883 – 1946) befreit. Dieser erkannte die Rolle des Geldes bei den Konjunkturschwankungen. Das hat mit dazu geführt, dass politisch linke und linksliberale Ökonomen bis heute Keynesianer sind. Bei Keynes muss der Staat dafür sorgen, dass die Gesamtnachfrage der Gesamtproduktion entspricht, indem er eben in der Krise mehr ausgibt als einnimmt (Deficit Spending) und bei überhitzter Konjunktur umgekehrt weniger ausgibt als einnimmt.
In den 50-er- und 60-er-Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelte Milton Friedman (1912 -2006) den Monetarismus. Er verband seine Wissenschaft allerdings mit einem erzkonservativen, politischen Programm, was die nüchterne Betrachtung des wissenschaftlichen Beitrages stark beeinträchtigte.
Ab etwa 1980 bis ins 21. Jahrhundert hinein bewegten sich die Ansichten der Ökonomen immer mehr in Richtung Monetarismus: Einerseits gewannen die Monetaristen auch auf Grund des damit einhergehenden Konservatismus immer mehr Anhänger auf Kosten der Keynesianer, andererseits mässigten sich Letztere, indem sie einen Teil der monetaristischen Kritik übernahmen, insbesondere anerkannten sie die Schwierigkeit, den Zeitpunkt der Wirkung und das Volumen eines Deficit Spendings richtig zu steuern, und somit die Gefahr, mehr zu schaden als zu nützen.
Der Monetarismus seinerseits wurde immer extremer, entwickelte sich weiter zu einer Art Neo-Neoklassizismus, will heissen, der freie Markt würde alles richten, Konjunktursteuerung sei gar nicht nötig, und wenn, nur ganz wenig davon. Bis die Krise ab 2008 das Rad der Geschichte in dieser Hinsicht plötzlich um 30 Jahre zurückdrehte: Die Theorien der Neo-Neoklassiker wirken angesichts dieser wirtschaftlichen Verwerfungen teilweise geradezu absurd, kein vernünftiger Mensch kann sie nunmehr vertreten, und Deficit Spending wird sowohl in der Theorie wieder ernst genommen, als auch weitherum praktiziert.
Die Covid-19-Krise von 2020 erzwang schliesslich noch mehr Staatseingriffe. Bis heute (Januar 2021) wird deren Notwendigkeit kaum bestritten, nur Ausmass und Feinsteuerung werden diskutiert.
In stichwortartigen Sätzen:
- Adam Smith, der Begründer der klassischen Nationalökonomie, propagierte auf Grund seiner Erkenntnisse vom Wirken der unsichtbaren Hand und dem Gewinn durch Handel ein liberales Wirtschaftssystem mit möglichst wenig Staatseingriffen, es sei denn, die wirtschaftlichen Freiheiten zu schützen.
- Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Randwerttheorie geschaffen (Neoklassik).
- John Maynard Keynes erkannte die Rolle des Geldes bei den Konjunkturschwankungen und forderte die Konjunktursteuerung durch den Staat, indem er eine etwaige Differenz zwischen dem Gesamtangebot und der Gesamtnachfrage ausgleichen müsse.
- In den 50-er- und 60-er-Jahren des 20.Jahrhunderts entsteht der Monetarismus (Konjunktursteuerung ausschliesslich über die Geldmengensteuerung), deren Vertreter einer erzkonservativen Politik anhingen.
- Ab 1980 hat der Monetarismus sowohl nach Anzahl der Anhänger wie auch ideenmässig ständig auf Kosten des Keynesianismus zugelegt. Er entwickelte sich weiter zu einer Art Neo-Neoklassizismus, bis die ab 2008 einsetzende Krise die ökonomische Gemeinschaft auf die Positionen von etwa 1980 zurückwarf.
- Die Notwendigkkeit von Staatseingriffen in Krisen ist durch Covid-19 zum Allgemeingut geworden.
10.06.2023