‘Glück‘ ist ein emotional aufgeladenes Wort. Besser wäre ‘subjektives Wohlbefinden‘. Auch das ist schwierig zu definieren, aber man kann davon ausgehen, dass alle darunter in etwa das Gleiche verstehen.
Schwer zu fassen, ‘fassen‘ anders verstanden, ist Glück sowieso. Das grosse Glück entwischt, wenn es sich einmal einstellt, schnell und fortwährend. Deshalb lasse ich das grosse Wort und schreibe nur noch vom (subjektiven) Wohlbefinden oder – noch bescheidener – von Zufriedenheit.
1. Verbesserung der Zufriedenheit
Der schöne Titelsatz lautet jetzt deutlich prosaischer: Wie steigere ich meine Zufriedenheit und damit mein subjektives Wohlbefinden? Dazu müsste man zuerst einmal wissen, was die Zufriedenheit wie beeinflusst. Da wird wohl jeder und jedem einiges einfallen, von Gesundheit, Essen, Freunde, Festivitäten, Erfolg in jedem Lebensbereich bis zu sehr viel bescheideneren Dingen wie Schnäppchen im Ausverkauf, Bus gerade noch erwischt, Lieblingsmannschaft Spiel gewonnen und Ähnliches.
Nun haben einige dieser Dinge nur kurzfristig ‘‘Erfolg‘‘, weil sie von der Bedeutung her nicht mehr hergeben. Kurzfristige Stimmungsschwankungen im Bereich von ein paar Stunden bis maximal wenige Tage sind allen bekannt. Man stellt allerdings auch fest, dass auch bedeutendere Erfolge, das Wohlbefinden oft nicht sehr lange anheben. ‘‘Man gewöhnt sich an alles‘‘, sagt man dann.
Gehe ich von meiner durchschnittlichen Zufriedenheit der letzten Zeit aus, gemeint sind ungefähr des letzten halben Jahres, blende also die kurzfristigen Schwankungen aus, so wäre es interessant zu wissen, wie ich diese durchschnittlichen Zufriedenheit steigern könnte, bzw. dessen Absinken verhindern.
Nun ist von Untersuchungen bekannt, dass die Leute, die in Wohlstandsgesellschaften generell zufriedener sind wie Leute in Entwicklungs- oder Schwellenländer. Das gilt natürlich nicht in jedem Einzelfall, aber durchschnittlich.
Andererseits ist ebenfalls bekannt, dass reiche Leute nicht durchwegs zufriedener sind wie Mittelständler; überhaupt ist der Unterschied in der Zufriedenheit keineswegs so gross, wie etwa die materiellen Möglichkeiten variieren. ‘‘Geld macht nicht glücklich‘‘, ist also nicht ganz falsch. Es gilt, eine Hypothese zu finden, die mit diesen Begebenheiten vereinbar ist.
2. Die Hypothese A
Eine Hypothese, die die genannten Bedingungen erfüllt lautet:
Der Grad der Zufriedenheit hängt ab von der (subjektiven) Verbesserung oder Verschlechterung der objektiven Lebensbedingungen, nicht von deren Niveau. Wer eine Verbesserung verspürt, der ist zufrieden, wer eine Verschlechterung erfährt, der ist unzufrieden, selbstverständlich umso mehr, je grösser die erfahrene Veränderung ist.
Demnach ist ‘‘Geld macht nicht glücklich‘‘ insofern zu präzisieren, dass die Betonung aus dem weggekürzten ‘haben‘ liegen muss, also ‘Geld haben macht nicht glücklich‘, will sagen, mehr Geld bekommen steigert die Zufriedenheit.
Das wird kaum die einzige Hypothese sein, die die obigen Bedingungen erfüllt; immerhin gibt es ein paar Indizien für deren Gültigkeit:
- Der Gewöhnungseffekt: Die Leute gewöhnen sich an bestehende Zustände.
- Die Lage zu verbessern ist der grosse Antrieb der Menschen, sei es für sich selber, sei es politisch für eine grössere Gemeinschaft.
- Verschlechterungen werden politisch jeweils am heftigsten bekämpft (viel mehr als die Beibehaltung eines ungünstigen Status-quo)
- Der Mensch will vielfache Abwechslung: Eintönige Arbeit gilt als langweilig, unerwünscht
- Schon unsere Sinnesorgane sind auf Differenzen spezialisiert, nicht auf absolute Werte: Wir hören kleine Höhenunterschiede, sehen kleinste Farbunterschiede, aber Absolutwerte können wir recht schlecht bestimmen. Wir sind so auf Unterschiede konditioniert, dass wir Strichzeichnungen, die genau die Linien mit sprunghaften Unterschieden nachfahren, als Zeichnung der Welt erkennen.
Leider sind alle diese Indizien ziemlich schwach, die Hypothese bleibt also unsicher. Da ist Vorsicht geboten. (So sind etwa die spekulativen Freud‘schen Ideen, die sich gleichermassen auf solche Indizien stützten, zB. Ödipuskomplex, Penisneid, heute bekanntlich stark umstritten. Deren Existenz ist fraglich.)
3. Kurzfristige Schwankungen
Betrachten wir noch die kurzfristigen Schwankungen. Da fallen zwei Dinge auf:
- Die lassen sich beeinflussen von Ereignissen, die eigentlich wenig bis gar nichts mit den Lebensbedingungen zu tun haben, und das nicht zu knapp:
- Wie heftig freut sich der treue Fan, wenn seine Lieblingsmannschaft die Meisterschaft gewonnen hat? Das ist nicht zu fassen. Dabei bringt ihm oder ihr das auf der materiellen Ebene rein gar nichts, auf der Ebene von persönlichen Beziehungen meistens auch nichts, allenfalls die Verstärkung der Kumpelgemeinschaft (aber auch der einsame Fan vor dem Fernseher freut sich unbändig). Auf der psychischen Ebene ist es offenbar enorm viel, obwohl er oder sie genau weiss, dass bald wieder eine neue Meisterschaft beginnt, mit womöglich und wahrscheinlich anderem Sieger, der Erfolg also von recht kurzer Dauer ist.
- Umgekehrt können Kleinigkeiten die Laune gründlich verderben: Eine schroffe Bedienung im Restaurant, eine grössere Verunreinigung, wo frisch geputzt war, die eben gekaufte Vase schon am ersten Tag in Scherben usw. Alles Unannehmlichkeiten, die eigentlich schnell behoben und vergessen sind, und jedenfalls kaum etwas an der allgemeinen Lebensqualität zu ändern vermögen. (Wenn dann noch der Partner/die Partnerin ‘‘schuld‘‘ ist am Malheur, kriegt er oder sie noch Beschimpfungen ab, die potentiell viel nachhaltiger schaden, wie das ursprüngliche Missgeschick.)
- Es gibt eine Art Ausgleichsmechanismus. Es ist für die meisten Menschen nicht möglich, mehr als ein paar Tage, ununterbrochen bester Laune oder in trüber Stimmung zu sein; nicht selten mässigt sich oder kippt die Stimmung schon nach wenigen Stunden. Woran das liegt, ist völlig unklar. Sicher ist nur, dass eine Art Verlängerung mittels chemischen Substanzen möglich ist: Koffein, Amphetamine, Kokain um nur die gängigsten zu nennen.
Nun mag man einwenden, diese Variabilität sei schon im Begriff ‘kurzfristige Schwankungen‘ festgeschrieben, mit andern Worten, wenn dieser Ausgleich nicht gegeben wäre, dann müsste man von grundsätzlich geänderter Zufriedenheit sprechen. Die häufig nichtigen Anlässe – wie unter Punkt 1 oben beschrieben – könnten gerade der Grund sein, warum die Euphorie oder die Trübsal schnell wieder verschwunden ist.
Der Einwand ist zum Teil berechtigt. Allerdings ist nicht jeder Anlass nichtig, auch ein wirklicher Schicksalsschlag trübt erst einmal die Stimmung stark, so wie umgekehrt ein bedeutender Lottogewinn für viel Freude sorgt, und doch halten sich auch in diesen Fällen die Stimmungen nicht ununterbrochen. Man denke nur an das Phänomen des Galgenhumors, und daran, das man sich an Geld überaus schnell gewöhnt.
Der deutlichsten Hinweis sowohl für das Genügen nichtiger Anlässe für grössere Gemüts-Schwankungen wie auch für den Ausgleichsmechanismus bringen die Leute. deren Ausgleichsmechanismus nicht wie üblich funktioniert:
4. Die Hypothese B
Jeder und jede der mit psychisch Angeschlagenen zu tun gehabt hat, weiss wie sehr diese sich auf gewisse Gedankengänge versteifen können. Das können echte oder eingebildete Bedrohungen sein, was dann für die Mitmenschen paranoid erscheint. Es können kleine Ungerechtigkeiten oder Unregelmässigkeiten, oder auch nur kleine Abweichungen von üblichen Abläufen sein, wegen denen eine unverhältnismässige Erregung entsteht. Die Betroffenen sind jeweils kaum zu beruhigen.
Bei der bipolaren Störung (manisch – depressiv) sind die Spirale nach unten und nach oben (bis zur physischen Erschöpfung) nicht zu übersehen.
Nun ist der Zusammenhang der Geistesstörungen mit diesem Phänomen genauso wie die Ursachen bis heute unbekannt. Man vermutet vieles und weiss nur wenig sicher. So könnte es durchaus sein, dass das sture Festhalten an einen Gedankengang damit zu tun hat, dass Geisteskranke ihr eigens Ich zu wenig spüren, sich dessen nicht sicher sind. Dieses Manco wird dann durch ‘‘gutes‘‘ Zureden von Mitmenschen noch verstärkt, ein Teil der Betroffenen geht bekanntlich bis zur Selbstverletzung, nur um sich selbst zu spüren.
Trotz der vielen Fragezeichen wage ich es, hier eine Hypothese aufzustellen, die mit den Gemüts-Schwankungen zu tun hat:
Geisteskrankheiten gehen einher mit einem schlecht funktionierenden Ausgleichsmechanismus der Stimmungen, seien es lange Phasen (bis mehrere Monate) bei der bipolaren Störung, sei es ruckartig, sprunghaftes Umschlagen nach einiger Zeit des ‘‘Eingrabens‘‘ in einer Lage bei der schizoiden Störung, oder das Festhalten an einer Gefährdungslage bei Paranoiden.
Es sei betont, dass über eine etwaige Kausalität nichts gesagt wird.
19.05.2021