Shpraachdefinizioon – Sprachdefinition

Weil es zum Thema gehört, ist dieser Artikel 2-sprachig geschrieben, die Version in Schweizer Hochdeutsch ist nachstehend.

 

 

Spraachdefinizioon, wersioon züritüütsh

 

Foorbemèrkige

Was ish e (natüürlichi) shpraach, waas en dialäkt, akzänt, was sind fershidni shpraache? Das ish letshtlich e definizioonsfraag (was en matemaatiker sofort usefordered). D fraag ish i de tüütsh-Shwiiz üssersht kontrowers, wobii daa di gängige linguistishe definizioone nöd würkli hälfed. Chunt dezue, das i Tüütshland s woort ‘Dialekt‘ hüüfig pruucht wiirt, was us CH-sicht nu en akzänt ish, dh e fom büünetüütsh abwiichendi uusshpraach.

Jez ish es esoo, das miiner mäinig naa, e shpraachdefinizioon mindeshtens ungfèèr dèm söti entshpräche, was me gfüülsmèèssig als shpraach fershtaat. Und wil s zwiifelloos sho for de erfindig fo de shrift shpraache ggèè hät, und wil au zum biishpiil indiaanershpraache, wo nie zunere shrift foortrunge sind, als shpraache-n-aagluget wèèrded, sind kriteerie fo de shrift (wie daas de Heinz Kloss und de Georg Bossong mached) nöd ferwänpaar.

Bim uufshtele fo sonere definizioon underliit me liecht de fersuechig, sich fo kultuurpolitishe aalige z laa beiiflusse, ich shlüüsse mich daa sälber nöd emaal uus, aber: probiere, sotig iiflüss zruggzdränge söt me shoo.

Fo wäge beachtig fo Occam’s Razor, beshränke ich miich uf  ‘shpraach‘ und ‘shpraach-warietèèt‘ (chuurz: ‘warietèèt‘), wobii e warietèèt immerhiin ungfèèr de offizielle linguistishe ferwändig entshpricht. (D forderig, das e warietèèt nöd unabhängig fo andere exishtiere cha, söt me-n-allerdings fale laa, oder druff abshwèche, das si nöd unabhängig fo andere warietèète-n-entshtande-n-ish.) Die beshränkig beshtimt dän s foorgaa: Ich definiere zeersh ‘shpraach‘ und ‘shpraach-warietèèt‘, dän fersuech i z klèère, was sind fershideni shpraache, was sind warietèète fo de gliiche shpraach. Und daas mach i esoo, das di shwirig diskussioon, wie èènlich fershideni shpraache sind (oder müend sii um als fershide z gälte) umgange wiirt. Daas ergit dän de erwünshti effäkt, das d shpraachlandshaft feräifacht daargshtelt wiirt.

Was nänt me-n-e shpraach, e shpraach-warietèèt

Definizioon ‘shpraach‘ und ‘shpraach-warietèèt‘:

E shpraach und e shpraach-warietèèt ish es sishteem fo wörter mit irne bedüütige und ferwändigsregle (wokabulaar und algemäini uusdrukswiis), regle, wie me d wörter zu uussaage zämesezt und alefals cha und mues abändere (gramatik) und enere artikulazioon (inklusiife prosodii), wo-n-ere groosse grupe lüüt als algemäins komunikazioonsmitel dient oder  – bi de toote shpraache –  tient hät.

Fast me wokabulaar, regle und artikulazioon ganz gnau und äng, definiert me-n-e ‘shpraach-warietèèt‘, ish me groosszügig und laat wariante zue, cha me soo e ‘shpraach‘ definiere.

Komentaar:

  1. Obwool me groosszügig söl sii mit em begriff ‘artikulazioon‘, so das au d handzäiche fo de taubshtume no drunder faled, ish si als beshtandtäil fo de definizioon nüzlich. Si ish wesentlich ferantwortlich für d fershtändlichkäit oder d unfershtändlichkäit zwüshed ‘‘èènliche shpraache‘‘ oder ebe warietèète. Und so faled ghäimshpraache, gnauer, codierigs-sishteem, uf jede fall use. Au Computer‘‘shpraache‘‘ händ kä artikulazioon (und diened nöd de algemäine komunikazioon).
  2. De sogenante fachshpraache fèèlt ebefals d artikulazioon: Si möged gshribe überaal gliich uusgsee, aber d artikulazioon richted sich nach de shpraach wo di algemäine täil fo de säz gshribe sind. Si diened au nöd de algemäine komunikazioon. Es ish drum fil iilüüchtender si als uuswiitig fom wokabulaar aazluege. Bezäichnenderwiis shtönd au en täil fo de fachuusdrük i algemäine lexika.
  3. Mit jedere shpraach-warietèèt, wo im altaag fonere gröössere grupe pruucht wiirt, cha me-n-ales säge. D shpraache tüend sich ewentuel undershäide i irer emozionaale qualitèèt, wobii au daas mäishtens foralem di fremdshpraachige empfindet, aber was d möglichkäite für faktishi uussaage betrift, git s kä undershiid. Ales anderi ish wunshtänke fo lüüt, wo wänd, das gwüssi shpraach-warietèète-n-über andere shtönd. Natüürli fèèled jewiils d fachwörter für jedes nöii gebiet, aber die fèèled zeersh emaal überaal, mindeshtens di preziisi wüsseshaftlichi bedüütig fèèlt. Si wèrded i jeder shpraach entweder us de shpraach use pildet (mängmaal au us fremdem beshtand) oder si wèèrded übernaa.
  4. S konzept fo de ‘Ausbausprache‘ fom Heinz Kloss ish also abzleene: Laat me d kriteerie, wo mit de shrift zämehänged wägg, so git s gaar käni nöd uuspouti warietèète. Das hät Wikipedia uf äin shlaag zäigt, wo zaalriichi shpraache (oder shpraach-warietèète) mit fachartikel über ales mögliche ershune sind. (Im bezuug uf s alemanish ish daas äigetli sho immer klaar gsii: Wèèr nach ere uni-foorläsig em profässer/de profässoorin foorne no e fraag shtelt, tuet daas ganz sälbshtfershtäntli uf alemanish, wän s bäidi chönd, und chunt au nöd uf d idee, das me daas nöd chöönti. Das ish fermuetli gaar nie andersh gsii.)

 

Gliichi shpraach  –  fershideni shpraache

Fil shwiriger wie die obigi definizioon uufzshtele ish es jez d fraag z beantworte, was fershideni shpraache sind, und was warietèète fo de gliiche shpraach sind, nöd z letsht wil bekantlich sich d shpraache laufend ferändered.

Wünshenswèrt wèèr natüürli me het fo alne warietèète e klasse-n-iitäilig im matemaatishe sinn (jede warietèèt ish genau äinere shpraach zuetäilt). Dadezue ghöört e-n-èquiwalenzrelazioon, dh e relazioon wo under anderem transitiif ish, konkreet: Wän d warietèèt A und d warietèèt B die relazioon händ und ebesoo d warietèète B und C, dän beshtaat si au zwüshed A und C.

A dèm erfordernis shiitered mindeshtens di mäishte potenzielle kriteerie, wie gegesiitigi fershtändlichkäit oder gringi undershiid. (Me tänki a s germaanishe dialäktkontinuum.)

D fershidehäit mässe ish sowisoo shwirig: Es gaat wie gsäit um wokabulaar, gramatik und artikulazioon: Wä‘me jez fergliicht ‘shweedish – Oslo-norweegish‘ äinersiits ‘Schwiizer hoochtüütsh – Züri-alemanish‘ anderersiits, so sind im norde d wokabulaar-undershiid fil gröösser, d gramatik-undershiid aber chlinner, und d artikulazioon-s-undershiid tüütli chlinner wie im süüde. (D artikulazioon-s-undershiid bringed s au mit sich, das d shweede und d Osloer denand rächt guet fershtönd, wèretèm di tüütshe züritüütsh nöd uf aahiib chönd fershtaa, aber mit de ziit, ooni d shpraach würkli z leere.) Wie söl me jez die undershiid gwichte?

E-n-anderi idee wèèr natüürli d äigeniishèzig fo de shpraachgmäinshafte: Dademit wèèrid norweegish und shweedish äidüütig fershideni shpraache, aber bim alemanishe sind d shprächer(ine) totaal unäinig, öb alemanish als seperaati shpraach z fershtaa ish oder nööd.

D shpraachbeobachter sind sich immerhiin sowiit äinig, das es käni kontinuierlichi übergäng git und das e(n) tüütsh-shwiizer(in) en hoochtüütshe saz nöd als shriftlichi form fom e gliichbedüütende alemanishe saz fershtaat, mit andere woort: er oder sii undershäidet d shpraache, shtichwort: tüütsh-shwiizer diglossi oder bilingualismus. Das füert zum e kriteerium wo enere èquiwalänzrelazioon mindeshtens nööch chunt.

D folg fo dèm foorgaa ish, das diglossii und bilingualismus zämefaled: Allerdings ish daas kän groosse shrit, wä‘me-n-ales shriftliche nöd beachted und d exishtänz fo nöd uuspoute warietèète fernäint.

Läider sind mishige nöd immer äifach z undershäide fo zitaat und foralem nöd fo übernaame; die chömed bekantli i alne shpraache shtändig foor. Drum fersuech i zeersh die z definiere.

Definizioon ‘zitaat‘:

Es zitaat ish e-n-uussaag, wo entweder als zitaat bezäichnet wiirt oder en formelhafte charakter hät oder bäides.

Definizioon ‘übernaam‘:

En übernaam ish e-n-uuswiitig oder abänderig fom wokabulaar  – s cha-n-au nu fo de bedüütig sii –  , wo nöd nöi erfunde-n-ish, sondern fonere-n-andere shpraach-warietèèt chunt.

Tüpisherwiis sind übernaame duurend, mindeshtens für e gwüssi ziit, au wän e gliichbedüütends sho lènger ferwändet s woort au no pruucht wiirt. Uf de-r-andere siite sind mishige shpontaan, und chönd sho bi-n-ere sazwiderholig wider andersh uusgsee.

Definizioon ‘warietèèt fo äinere shpraach‘:

Zwäi oder mee shpraach-warietèète gälted als warietèèt fo äinere shpraach, wän si im tägliche gebruuch  mitenand gmisht wèèrded, im sinn fome wächsel innerhalb fo säz fo de äinte warietèèt zur andere, ooni das es als zitaat oder übernaam uufgfast wiirt.

 Alternatiifi definizioon fo ‘shpraach‘:

E ‘shpraach‘ ish d gsamthäit fo de warietèète, wo im sinn fo de definizioon fo ‘warietèèt fo äinere shpraach‘ zämeghööred.

Situazioon alemanish zu shwiizer hoochtüütsh

Luegt me d situazioon i de tüütsh-Shwiiz aa, so hät sich die i de letshte rund 100 jaar gänderet: Mishige tüütsh – alemanish sind seer sälte woorde.

Miini grosmueter, jaargang 1890, hät ferzelt, das me früener immer wider hoochtüütchi saz-broke iigshtröit hät. Me fint daas au i alte Cabaret-nummere, au no i Bibi Balu (1964) chunt s foor. Rund 10 jaar shpööter, tuet aber de Emil (Steinberger) z tüütshland shwiizer hoochtüütsh rede, mit ganz shtarchem helveetishem akzänt und fil alemanishe-n-übernaame, aber ooni z mishe, analoog wie-n-er im wäshland uufträte-n-ish, mit français fédéral und alemanishe-n-übernaame.

Fil gmisht wiirt wän alemanish gshribe wiirt. Das liit aber dadraa, das d lüüt gwönt sind hoochtüütsh z shriibe und ene di ortograafishe gwonete i d quèèri chömed. Läsed si foor, was si sälber gshribe händ, dän sind di hoochtüütshe-n-elemänt wider wägg.

Obwool d entwiklig nonig ganz abgshlosse-n-ish cha me säge, das gmèèss de obige definizioone s alemanishe und s tüütsh sho wiit mee als fershideni shpraache müend aagluegt wèèrde wie als warietèète fo de gliiche shpraach. Es beshtaat kän shtaatusundershiid, weder soziaal no in bezuug uf de persöönlich abshtand. Es ish wiitgeeend s meedium wo d shpraach beshtimt: Gret wiirt shwiizer hoochtüütsh fash nuno wäge de fershtändlichkäit für anderi (parlamänt, uniwersitèèt) und i paar fäl us tradizioon, wil s immer soo gsii ish, und dèè täil gaat langsam aber shtändig zrugg.

Wie beräits obe konshtatiert, bliibt für s diglossii-modäll somit nu di shpraachlichi nööchi. Di fliissig shriftlichi ferwändig cha nöd uusshlaggebend sii: Weder di jaarhundertlangi praxis latiinish z shriibe oder di französish moode im 18. jaarhundert, wo s französishe au i prifaate brief en feshte plaz ghaa hät, ferläitet daa öper fo diglossii z rede.

Andersh gseet s uus bi de alemanish redende süüdtüütshe, so wiit ’s esi no git. Wie zimli überaal z Tüüutshland wiirt daa gmisht. (Das füert zunere unbefridigende situazioon, so das me fo wäge-n-abgränzig fo CH-alemanish müesti rede, oder chuurz: chaleemish.)

Innershwiizerishi alemanish-situazioon und shwiizer hoochtüütsh zu bundestüütsh

Innerhalb fo de shwiizerishe alemanishe shpraachgmäinshaft ish d situazioon rächt unäinhäitlich. Foralem di groosse grupe  – bèrner, basler, zürcher, luzèrner, sanggaller –  reded zimli tröi wie ne de shnabel gwachse-n-ish, mit äinzelne übernaame zwaar, aber chuum iimishige, aber di chlinnere grupe tüend durchuus mishe, wie me am fèrnsee müeloos cha konshtatiere. Wän d Sabine Dahinden Carrel deklariert, am fèrnsee redi sii räins urnerish, dän häist das au, das si daas sush nöd immer macht. Und d walisser sind bekant defüür, das si zum fo nöd-walisser fershtande z wèèrde, mishige mached.

S shwiizer hoochtüütsh ish innershwiizerish under iihäimishe rächt abtränt fom tüütshe tüütsh, aber shwiizer wo z tüütshland läbed tüend dän doch öpe mit mishe-n-aafange, wobii s seer schwèèr ish, daas fo übernaame z undershäide. Immerhiin chunt s au i de Shwiiz foor, das zum biishpiil öper d ändig ‘-ig‘ shporaadish als [iç] uusshpricht shtat [ig]. Und sälbshtfershtändli tüend au tüütshi wo i de Shwiiz läbed daa und deet e chli mishe. (Di bäide warietèète sind sich ja au so nööch, das me zum täil seer gnau mues anelose, zum sotigi detäils feshtzshtele.)

PS

Es git no en grund, zum unabhängig fo de shpraachliche nööchi shpraach-waritèète dän als seperaati shpraache-n-aazluege, wän nöd gmisht wiirt: Wä‘me probiert e shpraach wo meereri waritèète hät  z definiere und zwaar wie nach de obige definizioon foorggèè mit eme wokabulaar, enere gramatik und ere-n-artikulazioon, ales mit wariante, dän graated me bi nöd-fermishte warietèète i erheblichi komplikazioone. Me cha dän nämli nöd äifach wort-wariante, gramatik-wariante und artikulazioons-wariante-n-uufzele, sondern me mues di mögliche oder ebe nöd mögliche wariante-kombinazioone beshriibe.

Zum biishpiil mues me im fall norweegish-shweedish säge, s wort ‘vanskelig‘ git s nu, wän käi ändigs-a ferwändet wèèrded, ‘rolig‘ ruig häist, d sazmelodii am sazshluss liecht aashtiigt und, und, und … . Im biishpiil alemanish – hoochtüütsh häistis: Konjunktiif uf ‘-i-‘ nu wän ali ‘ch‘ mit sharfem [x] gsäit wèèrded, käs nöd zämegsezts preteritum ferwändet wiirt, ‘nèè‘ oder ‘nää‘ als wèrb pruucht wiirt und, und, und … . Mit de konsequänz, das e sotigi beshriibig glat i zwäi täil wüür zerfale, die definizioon chèèmti shlussäntli als nume künshtlichi äinhäit use.

Fornedraa shtaat e wersioon uf züritüütsh.

Sprachdefinition, Version Schweizer Hochdeutsch

 

Vorbemerkungen

Was ist eine (natürliche) Sprache, was ein Dialekt, was Akzent, was sind verschiedene Sprachen? Das ist letztlich eine Definitionsfrage (was einen Mathematiker gleich herausfordert). Die Frage ist in der Deutschschweiz äusserst umstritten, wobei die gängigen linguistischen Definitionen nicht wirklich helfen. Dazu kommt, dass in Deutschland das Wort ‹Dialekt› verwendet wird, wenn aus CH-Sicht ein blosser Akzent vorliegt, dh eine vom Bühnendeutsch abweichende Aussprache.

Meiner Meinung nach sollte eine Definition von ‹Sprache› in etwa dem entsprechen, was man gefühlsmässig unter Sprache versteht. Und weil es zweifellos schon vor der Erfindung der Schrift Sprachen gegeben hat, und weil zum Beispiel auch Indianersprachen, die nie zu einer Verschriftlichung gelangt sind, als Sprachen angesehen werden, sind Kriterien der Schrift (wie das etwa Heinz Kloss und Georg Bossong einsetzten) nicht verwendbar.

Bei der Erschaffen einer solchen Definition unterliegt man leicht der Versuchung, sich von kulturpolitischen Anliegen beeinflussen zu lassen. Ich nehme da mich selber nicht einmal aus. Nur: Mindestens versuchen, solche Einflüsse zurück zu drängen, sollte man schon.

Weil ich Occam‘s Razor beachten will, beschränke ich mich auf ‘Sprache‘ und ‘Sprach-Varietät‘ (kurz: ‘Varietät‘), wobei ich ‘Varietät‘ immerhin ungefähr so verwende wie in der ‘‘offiziellen‘‘ Linguistik. (Die Forderung, dass eine Varietät nicht unabhängig von anderen existieren kann, sollte man allerdings fallen lassen, oder daraufhin abschwächen, dass sie nicht unabhängig von anderen Varietäten entstanden ist.) Diese Beschränkung bestimmt das Vorgehen: Ich definiere zuerst ‘Sprache‘ und ‘Sprach-Varietät‘, dann versuche ich zu klären, was verschiedene Sprachen, und was Varietäten der gleichen Sprache sind. Das geschieht so, dass die schwierige Diskussion, wie ähnlich verschiedene Sprachen sind (oder sein müssen um als verschieden zu gelten) umgangen wird. Das ergibt dann den erwünschten Effekt, dass die Sprachlandschaft vereinfacht dargestellt wird.

Was nennt man eine Sprache, was eine Sprach-Varietät

Definition ‘Sprache‘ und ‘Sprach-Varietät‘:

Eine Sprache und eine Sprach-Varietät ist ein System von Wörtern mit ihren Bedeutungen und Verwendungsregeln (Vokabular und allgemeine Ausdrucksweise), Regeln darüber, wie die Wörter zu Aussagen zusammengesetzt und allenfalls abgeändert werden müssen (Grammatik) und einer Artikulation (inklusive Prosodie), die einer grossen Gruppe Leute als allgemeines Kommunikationsmittel dient oder  – bei den toten Sprachen –  gedient hat.

Fasst man Vokabular, Regeln und Artikulation eng und ganz präzise, definiert man so eine ‘Sprach-Varietät‘, ist man grosszügig und lässt Varianten zu, kann man so eine ‘Sprache‘ definieren.

Kommentar:

  1. Obwohl man mit dem Begriff ‘Artikulation‘ grosszügig sein soll, so dass auch die Handzeichen der Taubstummen noch darunter fallen, ist sie ein nützlicher Bestandteil der Definition. Sie ist wesentlich für die Verständlichkeit oder Unverständlichkeit zwischen ‘‘ähnlichen Sprachen‘‘ oder eben Varietäten. So fallen auch Geheimsprachen, genauer, Codierungs-Systeme, auf jeden Fall weg. Auch Computer‘‘sprachen‘‘ haben keine Artikulation (und dienen auch nicht der allgemeinen Kommunikation).
  2. Den sogenannten Fachsprachen fehlt ebenfalls die Artikulation: Sie mögen geschrieben überall gleich aussehen, aber die Artikulation richtet sich nach der Sprache in der die allgemeinen Teile der Sätze geschrieben stehen. Auch sie dienen nicht der allgemeinen Kommunikation. Es leuchtet deshalb weit mehr ein, diese als Ausweitung des Vokabulars zu betrachten. Bezeichnenderweise stehen ein Teil der Fachausdrücke auch in allgemeinen Lexika.
  3. In jeder Sprach-Varietät, die im Alltag von einer grösseren Gruppe verwendet wird, kann alles gesagt werden. Sprachen unterscheiden sich womöglich in ihren emotionalen Qualitäten, wobei auch das in erster Linie Fremdsprachige empfinden, aber in Bezug auf die Möglichkeiten für faktische Aussagen gibt es keine Unterschiede. Diesbezügliche Behauptungen sind Wunschdenken von denen, die gewisse Varietäten über andere erhaben sehen wollen. Natürlich fehlen jeweils die Fachwörter für jedes neue Gebiet, nur fehlen die jeweils überall, zumindest die präzisen wissenschaftlichen Bedeutungen fehlen. Diese werden in jeder Sprache entweder in der Sprache gebildet (manchmal auch aus fremdem Bestand) oder übernommen.
  4. Das Konzept ‘Ausbausprache‘ von Heinz Kloss ist folglich abzulehnen: Lässt man die mit der Schrift zusammenhängenden Kriterien weg, so gibt es gar keine nicht ausgebauten Varietäten. Das hat Wikipedia auf einen Schlag klar gemacht, als zahlreiche Sprachen (oder Sprach-Varietäten) mit Fachartikeln über alles Mögliche erschienen sind. (Was alemannisch betrifft, war das eigentlich schon immer klar: Wer nach einer Uni-Vorlesung dem Professor/der Professorin vorne noch eine Frage stellt, stellt diese ganz selbstverständlich auf alemannish, wenn es beide können, und kommt auch nicht auf die Idee, dass das unmöglich sein könnte. Das war vermutlich schon immer so.)

Gleiche Sprache  –  verschiedene Sprachen

Viel schwieriger als die oben stehende Definition zu formulieren ist die Frage zu beantworten, was denn verschiedene Sprachen sind und was Varietäten von ein- und derselben Sprache, nicht zuletzt deshalb, weil sich Sprachen bekanntlich ständig verändern.

Wünschenswert wäre dabei eine Klasseneinteilung aller Varietäten im mathematischen Sinn, dh jede Varietät ist genau einer Sprache zugeteilt. Dazu gehört eine Äquivalenzrelation, also eine Relation die ua transitiv ist, konkret: Sind Varietät A und Varietät B in der Relation und ebenso die Varietäten B und C, so besteht die Relation auch zwischen A und C.

An der Anforderung der Transitivität scheitern die meisten potenziellen Kriterien, wie gegenseitige Verständlichkeit oder geringe Unterschiede. (Man denke an das germanische Dialektkontinuum.)

Es ist sowieso schwierig, den Grad der Verschiedenheit zu messen: Da geht es wie gesagt um Vokabular, Grammatik und Artikulation: Vergleicht man so schwedisch mit Oslo-norwegisch einerseits und Schweizer Hochdeutsch mit Zürich-alemannisch andererseits, so stellt man fest, dass im Norden die Unterschiede im Vokabular viel grösser sind als im Süden, die in der Grammatik aber kleiner und die Artikulations-Unterschiede deutlich kleiner. (Die Artikulations- Unterschiede führen auch dazu, dass Schweden und Osloer sich recht gut verstehen, währenddem Deutsche Zürichdeutsch nicht auf Anhieb verstehen, aber mit der Zeit, ohne die Sprache wirklich zu lernen.) Wie soll man diese Unterschiede gewichten ?

Eine andere Idee wäre die Eigeneinschätzung der Sprachgemeinschaften: Damit wären norwegisch und schwedisch klar verschiedene Sprachen, aber im Fall des Alemannischen sind die Sprecher(innen) völlig uneinig, ob alemannisch als separate Sprache zu verstehen ist oder nicht.

Die Sprachbeobachter sind sich immerhin insofern einig, als dass es keine kontinuierlichen Übergänge gibt und dass ein(e) Deutschschweizer(in) einen hochdeutschen Satz nicht als Verschriftlichung eines alemannischen Satzes mit der selben Bedeutung versteht. Anders gesagt, er oder sie unterscheiden in ihrer Sprache, Stichwort: deutschschweizer Diglossie oder Bilingualismus. Das führt zu einem Kriterium, das einer Äquivalenzrelation zumindest nahe kommt.

Die Folge dieses Vorgehen ist, dass Diglossie und Bilungualismus zusammenfallen. Das ist allerdings kein grosser Schritt, wenn alles Schriftliche ausgeklammert und die Existenz von nicht ausgebauten Varietäten verneint wird.

Leider sind Mischungen nicht immer von Zitaten und Übernahmen, die bekanntlich in jeder Sprache ständig vorkommen, zu unterscheiden. Deshalb versuche ich zuerst, diese zu definieren.

Definition ‘Zitat‘:

Ein Zitat ist eine Aussage, die entweder als Zitat bezeichnet wird oder einen formelhaften Charakter hat oder beides.

Definition ‘Übernahme‘:

Eine Übernahme ist eine Ausweitung oder Abänderung des Vokabulars  – und sei es nur von einer Wortbedeutung – , die nicht neu erfunden wurde, sondern von einer anderen Sprach-Varietät stammt.

Typischerweise sind Übernahmen dauernd, zumindest für eine gewisse Zeit, auch wenn ein das Gleiche bedeutendes Wort weiterhin ebenfalls verwendet wird. Auf der andern Seite sind Mischungen spontan und können schon bei einer Satzwiederholung wieder anders ausfallen.

Definition ‘Varietät‘ einer ‘Sprache‘:

Zwei oder mehr Sprach-Varietäten gelten als Varietät von einer Sprache, wenn sie im täglichen Gebrauch miteinander vermischt werden, im Sinne von Wechseln innerhalb von Sätzen von der einen Varietät zur andern Varietät, ohne dass das als Zitat oder Übernahme aufgefasst wird.

 Alternative Definition von ‘Sprache‘:

Eine ‘Sprache‘ ist die Gesamtheit der Varietäten, die im Sinne der Definition ‘Varietät einer Sprache‘ zusammengehören.

Verhältnis alemannisch zu Schweizer Hochdeutsch

Betrachtet man die Situation in der Deutschschweiz, so hat sich die in den letzten 100 Jahren geändert: Mischungen deutsch – alemannisch sind sehr selten geworden.

Meine Grossmutter mit dem Jahrgang 1890 erzählte, dass man früher immer wieder hochdeutsche Brocken in seine Rede eingestreut hat. Das findet man auch in alten Cabaret-Texten, auch noch in Bibi Balu (1964). Hingegen hat Emil Steinberger 10 Jahre später auf Deutschlandtournee Schweizer Hochdeutsch gesprochen, mit ganz starkem Akzent zwar und mit vielen alemannischen Übernahmen, aber ohne zu mischen, analog wie er in der Romandie aufgetreten ist, dort mit français fédéral und alemannischen Übernahmen.

Viel gemischt wird dann, wenn alemannisch geschrieben wird. Das liegt daran, dass die Leute ans hochdeutsche Schreiben gewöhnt sind und deshalb die orthografischen Gewohnheiten einfliessen. Lesen die Schreiber vor, was sie selber geschrieben haben, so sind die hochdeutschen Elemente wieder weg.

Obwohl diese Entwicklung noch nicht ganz abgeschlossen ist, kann man heute sagen, dass gemäss obiger Definition alemannisch und deutsch weit mehr als verschiedene Sprachen angesehen werden müssen denn als Varietäten derselben Sprache. Es besteht kein Statusunterschied, weder in sozialer Hinsicht noch in Bezug auf die persönliche Distanz zwischen den Kommunizierenden. Es ist weitestgehend das Medium, das die Sprache bestimmt: Geredet wird Schweizer Hochdeutsch fast nur noch von wegen Verständlichkeit für andere (Parlament, Universität) und in ein paar Fällen aus Tradition, weil es immer so war, und dieser Teil geht langsam aber stetig zurück.

Wie oben festgestellt, bleibt für das Diglossie-Modell somit nur die sprachliche Nähe. Die fleissige schriftliche Verwendung des Schweizer Hochdeutschen kann nicht den Ausschlag geben: Weder die Jahrhunderte dauernde schriftliche Verwendung des Lateins noch die französische Mode, die auch in privaten Briefen ihren festen Platz hatte, verleitet jemanden von Diglossie zu sprechen.

Anders verhalten sich die alemannisch redenden Süddeutschen, so weit es sie noch gibt. Wie überall in Deutschland wird da mit Standarddeutsch gemischt. (Das führt zu einer unbefriedigenden Situation, so dass man zur Abgrenzung von CH-alemannisch sprechen müsste, oder kürzer: chalemisch.)

Innerschweizerisches Verhältnis der alemannischen Varietäten untereinander und Schweizer Hochdeutsch zu Bundesdeutsch

Innerhalb der Schweiz ist Situation der alemannischen Varietäten recht uneinheitlich. Insbesondere die grossen Gruppen, etwa Berner, Basler, Zürcher, Luzerner, St. Galler, reden ziemlich treu ihre Varietät, mit einzelnen Übernahmen vielleicht, aber kaum mit Mischungen. Dagegen mischen die kleineren Gruppen durchaus, wie es am Fernsehen mühelos zu hören ist. Wenn Sabine Dahinden Carrel erklärt, am Bildschirm spreche sie ausschliesslich reines Urnerdeutsch, dann heisst das auch, dass sie das sonst nicht immer macht. Und die Walliser sind bekannt dafür, dass sie, wenn sie von Nicht-Wallissern verstanden werden wollen, ihre Sprache mischen.

Das Schweizer Hochdeutsch ist innerhalb der Schweiz ziemlich abgetrennt vom Bundesdeutschen, aber Schweizer, die in Deutschland leben, fangen mit der Zeit doch an, ihre Sprache zu mischen, wobei das dann sehr schwer von Übernahmen zu unterscheiden ist. Immerhin kommt es auch in der Schweiz vor, dass zB jemand die Endung ‘-ig‘ sporadisch mit [iç] ausspricht anstatt mit [ig]. Und selbstverständlich mischen auch deutsche, die in der Schweiz leben, da und dort Schweizer Hochdeutsch in ihr deutsch. (Die beiden Varietäten sind sich auch so nahe. dass man sehr genau hinhören muss, um solche Details zu erkennen.)

PS

Es existiert noch ein Grund, um unabhängig von der sprachlichen Nähe Sprach-Varietäten dann als separate Sprache anzusehen, wenn nicht gemischt wird: Versucht man nämlich eine Sprache mit mehreren Varietäten zu definieren, und zwar nach der obenstehenden Definition mit Vokabular, Grammatik und Artikulation, alles mit Varianten, so gerät man bei sich nicht mischenden Varietäten in erhebliche Komplikationen. Man kann dann nicht einfach Wort-Varianten, Grammatik-Varianten und Artikulations-Varianten aufzählen, sondern man muss die möglichen oder eben unmöglichen Kombinationen aller Varianten beschreiben.

Zum Beispiel müsste man bei schwedisch-norwegisch erwähnen, das Wort ‘vanskelig‘ gibt es nur, wenn keine Endungs-a verwendet werden, ‘rolig‘ ruhig bedeutet, die Satzmelodie am Satzende leicht ansteigt und, und, und … . Beim Beispiel alemannisch-deutsch müsste stehen: Der Endungsvokal des Konjunktivs ist nur dann ‘i‘, wenn alle ‘ch‘ mit sehr rauem [x] (etwa dem holländischen entsprechend, aber velar) gesprochen werden, kein nicht zusammengesetztes Präteritum vorkommt, ‘nèè‘ oder ‘nää‘ (nehmen) verwendet wird und, und, und … . Das hätte zur Folge, dass eine solche Beschreibung in zwei Teile zerfallen und die Einheit einer solchen Sprach-Definition künstlich wirken würde.

20.10.2024